Weine aus Frankreich
Leben wie Gott in Frankreich - das wollen wir doch alle. Und sicherlich hat Gott einen großen Verdienst darum, dass die Grande Nation in Sachen Weinbau international die Nase vorn hat, indem er das Land mit fruchtbaren Böden, günstigem Klima und ertragreichen Rebsorten segnete. Aber auch die Franzosen selbst trugen ihren Teil dazu bei, ihr Land zum unbestrittenen Epizentrum der Weinwelt zu machen. Zum einen haben sie es binnen recht kurzer Zeit geschafft, ursprünglich französische Reben über den gesamten Erdball zu verstreuen. Pinot Noir, Sauvignon Blanc, Malbec, Cabernet Sauvignon und andere finden sich mittlerweile auch in den USA, in Südamerika und Australien. Und obwohl in Übersee ganz beachtliche Qualitäten entstehen, die in Tastings hin und wieder ihre Geschwister aus der Alten Welt in den Schatten stellen, ist Frankreich nach wie vor der Maßstab, dem sich jeder auswärtige Wein stellen muss. Verantwortlich dafür sind vor allem drei Regionen, deren Namen fast mythischen Status erlangt haben und deren Erzeugnisse auf keiner Karte eines Spitzenrestaurants fehlen dürfen: die Champagne für die herrlich hefebetonten Schaumweine, das Bordelais mit seinen kraftvollen roten Cuvées und die Bourgogne als Heimat der finessenreichen Burgunder.
Im Detail
Frankreich
Und weil kein Anbaugebiet wollen kann, dass die harte Arbeit der dortigen Winzer von anderen ausgenutzt wird, um ihren eigenen, billigen und minderwertigen Wein in seinem Namen verkaufen, erfand man obendrein noch die Appellation d’Origine Contrôllée. Vor etwa hundert Jahren war es, da stattete man Châteauneuf-du-Pape als erstes Gebiet mit diesem Siegel aus, das klare Vorgaben hinsichtlich der zugelassenen Rebsorten, des Höchstertrags, der Kellerarbeit und anderer Dinge macht. Etwa ein Drittel aller französischen Weine fallen unter AOC (seit 2009 in AOP umbenannt), der Rest wird entweder als IGP oder Vin de France vermarktet, als Land- oder Tafelwein also. Heutzutage findet sich das Konzept der geschützten Ursprungsbezeichnung im EU-Recht wieder und sichert nicht nur die Herkunft von Weinen, sondern auch anderer Lebensmittel wie Fetakäse oder Parmaschinken.
Nun sagt aber eine solche Angabe noch nichts über die qualitativen Unterschiede innerhalb des geschützten Gebietes aus. Doch auch dafür hatten die Franzosen Lösungsansätze. Der eine stammt aus dem Bordeaux: hier verband man die Klassifizierung mit der Fähigkeit des jeweiligen Weingutes, eine bestimmte Güteklasse zu erzeugen - zugrunde gelegt wurden während der umfassenden Einteilung des Médoc 1855 die durchschnittlichen Preise für den vom Gut erzeugten Wein der letzten hundert Jahre. Dabei entstanden zwei Kategorien: die des „einfacheren“ Cru Bourgeois und die des außergewöhnlich hochwertigen Grand Cru Classé. Diese ist wiederum in fünf Klassen unterteilt und bewertet die knapp über 60 Châteaux nochmal präziser. Die fünf Premieres Crus Margaux, Lafite, Latour, Mouton und Haut-Brion sind so etwas wie der Heilige Gral der Weinwelt. Letztlich aber hat sich der Ansatz des Burgund international durchgesetzt - und wurde Vorbild für etliche nationale Qualitätspyramiden, etwa die des deutschen VDP. Hier war es nicht das Weingut, sondern die Lage, an der man die Qualität eines Weines festmachte: als Fixpunkt galt das bei optimaler Arbeit des Winzers maximal mögliche Potential einer bestimmten Bodenfläche. Die Hierarchie reicht dabei von Grand Cru als bester über Premier Cru als zweitbester Lage bis zu den weit gefassten Kategorien, nach denen das Traubenmaterial aus verschiedenen Flächen innerhalb eines Ortes oder einer Region stammen darf. Beide Herangehensweisen waren dabei für eine Zeit, in der kaum Lebensmittelgesetze existierten, revolutionär. Beide haben aber auch ihre jeweiligen Schwachstellen: beim Bordeaux-Ansatz ist es für aufstrebende Châteaux, die sehr viel Arbeit in die Verbesserung ihrer Weinbergsarbeit und Kellertechnik investieren, kaum möglich, in eine höhere Klasse aufzusteigen, während die Spitzengüter es sich theoretisch leisten können, zumindest eine gewisse Zeit qualitativ auf Sparflamme zu laufen, denn herabgestuft wird so schnell niemand. Im Burgund besteht dieses Problem zwar nicht, dafür sind aber die allerwenigsten Lagen im Alleinbesitz, sondern meist unter etlichen Winzern aufgeteilt, die mit dem Traubenmaterial sehr gut oder auch sehr schlecht verfahren können - entsprechend groß ist die qualitative Bandbreite. Ausgewiesene Kenner wiederum sind in der Lage, aus den Systemen ihren Vorteil ziehen: entdecken sie den Erzeugnissen der Spitzengüter oder -lagen qualitativ ebenbürtige Weine aus nachrangigen Klassen, lässt sich viel Geld sparen.
Weinberge im Bordeaux
Über Geld muss man zwangsläufig auch sprechen, wenn man sich mit französischen Weinen auseinandersetzt. Sehr lange Zeit war Frankreich weltweit das einzige Land - mit Ausnahme des deutschen Süßwein-Booms um die vorletzte Jahrhundertwende -, das wie selbstverständlich Höchstpreise für seine Weine verlangen konnte. Doch auch wenn für die italienischen Super-Toskaner und erstklassige Rioja-Tempranillos mittlerweile ebenso viele hundert Euro aufgerufen werden und die qualitative Führerschaft Frankreichs nach geradezu skandalösen Blindverkostungen wie der Weinjury von Paris 1976 etwas ins Wanken geraten ist - die Preisspirale dreht sich munter weiter nach oben, ohne dass sich die großen Häuser für die astronomischen Beträge rechtfertigen müssten. Das hat sicherlich etwas mit der nach wie vor unübertroffenen Lagerfähigkeit von etlichen Jahrzehnten zu tun - viele Weine dienen nicht in erster Linie als Genussmittel , sondern verschwinden auf Ewigkeiten in den Kellern von Spekulanten, in jüngerer Zeit besonders in China. Nicht zu unterschätzen ist aber auch der Mythos, der insbesondere die ganz großen Namen wie Pétrus, Romanée-Conti oder D’Yquem umgibt und der Weinliebhaber regelmäßig um den Verstand bringt. Eine hübsche Anekdote ist die einer Versteigerung von Weinen des später als Fälscher enttarnten Rudy Kurniawan: als ein aufmerksamer Teilnehmer aufstand und dem Publikum zuverlässig darlegte, dass es sich keinesfalls um echte Flaschen handeln könnte, wurde er von der Menge beschimpft und niedergeschrien - so stark war das Verlangen, einen der Weine zu besitzen, völlig egal, ob gefälscht oder nicht.
Weinberge in der Champagne
Drei Viertel der Gesamternte entfallen auf rote Rebsorten. Platz eins reklamiert der Merlot für sich - er stellt kaum Ansprüche an den Boden und liefert hohe Erträge, was ihn neben seiner frühen Trinkreife bereits nach wenigen Jahren bei Winzern und Konsumenten gleichermaßen beliebt macht. Sehr häufig wird er mit anderen Rebsorten verschnitten, um diese von seiner vollmundigen, sanften Frucht und leichten Zugänglichkeit profitieren zu lassen. Er ist - vor allem wegen seiner harmonisierenden Fähigkeiten und seiner Affinität zur Fasslagerung - eine der sechs für Bordeauxweine zugelassenen Trauben und wird insbesondere in Pomerol und Saint-Émilion geschätzt, wo sein Anteil am Cuvée meist bei mehr als drei Vierteln liegt und manche Chateaux ihm sogar Reinsortigkeit zugestehen. An zweiter Stelle folgt der Grenache, ursprünglich eigentlich ein Spanier. Sein vergleichsweise geringer Gerbstoff- bei hohem Alkoholgehalt und die helle Farbe des Mostes prädestinieren auch ihn für den Verschnitt mit kräftigeren Reben, die wiederum von seiner saftigen Fruchtfülle zehren können. Besonders im Süden schätzt man ihn, an der südlichen Rhône präsentiert er sich als Basis für Blanc de Noir ebenso wie für Rosé und Rotweine als wahres Multitalent, das den unkomplizierten Alltagstropfen ebenso beherrscht wie den weltbekannten Châteauneuf-du-Pape. Der beliebteste Verschnittpartner für Grenache ist der Syrah, gleichzeitig die Nummer drei der französischen Roten. Er liebt trockenes, heißes Klima mit viel direkter Sonneneinstrahlung und fühlt sich deshalb an seinem „Geburtsort“ im Rhônetal nach wie vor am wohlsten, in dessen nördlichen Appellationen er sogar die einzige amtlich zugelassene rote Rebe ist. Sein betörendes Johannisbeer-Bukett, der tiefdunkle Farbton und der kräftig-würzige Tanninteppich machen den Syrah zum idealen Begleiter kräftiger Speisen, der nebenbei ein hervorragendes Alterungspotential besitzt. Er zählt ebenso wie Merlot und Grenache zu den Gewinnern des Wandels in der französischen Rotweinwelt weg von schweren, säurelastigen, aber wenig aromatischen Weinen hin zu feinen, fruchtbetonten Tropfen - der Carignan etwa, bis vor einigen Jahrzehnten noch die populärste Rebsorte des Landes, wurde massiv gerodet und konnte sich eigentlich nur in der ehemaligen Kolonie Algerien nachhaltig behaupten.
Keller in der Champagne
Die meistangebaute weiße Rebe ist ironischerweise recht unbekannt. Der Ugni Blanc - vertrauter vielleicht noch unter seinem italienischen Namen Trebbiano, denn von dort stammt er auch - ist ein Massenträger und liefert als solcher eher flache, säuerliche Weine - die gerade angesprochene „alte Schule“ und nicht mehr unbedingt etwas, das man Freunden gern serviert. Dass die Produktion dennoch nach wie vor so hoch ist, hängt damit zusammen, dass Frankreich auch über eine florierende Branntweinproduktion verfügt. Die berühmtesten unter ihnen sind der Cognac und der Armagnac. Zu verdanken ist ihre Erfindung nicht etwa dem Verlangen der Menschen, noch schneller betrunken zu werden, sondern der langen Dauer der Seereisen, während derer zum Export bestimmter Wein oftmals schlicht kippte. Glücklicherweise hatte man von den Mauren die Technik der Destillation übernommen, ebenso die Erkenntnis, dass Hochprozentiges sich sehr lange hält. Über Jahrhunderte hinweg betrachtete man Getränke jenseits der 20 Volumenprozent allerdings als reine Medizin - und verdünnte den Weinbrand entsprechend wieder auf den Alkoholgehalt eines normalen Weines, wenn er seinen Zielort erreicht hatte… Auf Platz zwei folgt der Chardonnay, der im Burgund die dominierende weiße Rebe - besonders begehrt aus weltbekannten Appellationen wie Puligny-Montrachet oder Meursault -, und ebenso Bestandteil des Champagners ist. Er wird für seinen Körperreichtum geschätzt, kommt aber von Natur aus eher schlank und geschmacklich neutral daher, darum baut man ihn oft im Fass aus. Seit den 80ern ist die weltweite Nachfrage massiv angestiegen, weswegen sich seine Anbaufläche in Frankreich innerhalb eines halben Jahrhunderts versechsfacht hat. Ebenfalls ein Gewinner veränderter Trinkgewohnheiten ist der ursprünglich von der Loire stammende Sauvignon Blanc, der bei den Weißen den dritten Platz belegt. Zu außergewöhnlicher Qualität gelangt der feinfruchtige Wein mit dem charakteristischen Aroma von Stachelbeeren oder auch grüner Paprika in den Bordeaux-Unterregionen Graves und Entre deux mers, auch ist er ein wichtiger Verschnittpartner für die berühmten Süßweine von Sauternes. Am bekanntesten aber sind die Loire-Klassiker Sancerre und Pouilly-Fumé, der auf Böden mit hohem Feuersteinanteil wächst und deswegen ein leicht rauchiges Aroma annimmt.
Mit Ausnahme des Nordens, wo in Normandie und Bretagne das Klima tatsächlich zu unwirtlich für den Weinbau ist, werden in fast jeder Region Reben gepflegt - der Kulturraum Frankreich ist mit seiner Ausdehnung von den Pyrenäen bis zum Ärmelkanal, vom Rhein bis zum Mittelmeer und von den Alpen bis zum Atlantik in seinen klimatischen und landschaftlichen Variationen absolut einzigartig. Ob im Nordwesten in der Champagne, im östlich gelegenen Loire-Tal oder in den eher unbekannten Exklaven Jura und Savoyen ganz im Westen - jedes Anbaugebiet wartet mit einer ganz eigenen Kombination aus klimatischen Verhältnissen, Bodenbeschaffenheiten und daran angepassten Trauben auf. Viele sind lokale Spezialitäten, die sich sonst nirgendwo im Land ein zweites Mal finden lassen: der Gewürztraminer etwa ist aus dem Elsass nicht wegzudenken, im Rest Frankreichs aber unbekannt. Eng damit verbunden ist der Gedanke des Terroirs: jedes Fleckchen Erde hat seine ganz eigenen Vor- und Nachteile, die es für den Anbau einer ganz bestimmten Rebsorte prädestinieren. Der Wein sollte dabei die Charakteristika seines Terroirs widerspiegeln und zudem in einer lokalen Traditionslinie stehen.
Der Großteil des französischen Weinbaus konzentriert sich im Südwesten und Süden: im Uhrzeigersinn finden sich sich hier am Mittelmeer die vor allem für Roséweine bekannte Provence, das Tal der Rhône und das riesige Languedoc-Roussillon, auf der Atlantikseite dann schließlich der Südwesten und Bordeaux. Generell ist die Einteilung in Frankreich auf Ebene der Weinbaugebiete vergleichsweise grob, mit 14 ebendieser verfügt es über ziemlich genau so viele wie Nachbar Deutschland, weist aber mit über 700 000 Hektar siebenmal so viel bestockte Fläche auf. Aber Fan vom stumpfen Vergleich nackter Zahlen war man in Frankreich noch nie: Italiener, die auf ihre noch höhere Produktion verweisen, werden ebenso scheel angesehen wie Spanier, die auf ihre noch höhere Rebfläche pochen. Denn die Grande Nation hat ihnen allen etwas voraus, und das ist ihr genialer Erfindergeist. Nicht nur theoretische Neuerungen wie Klassifikationssysteme gehen auf sie zurück, sondern auch ganz praktische, den Wein unmittelbar verbessernde. Die wohl bekannteste, weil wie vieles andere aus Frankreich mittlerweile internationaler Standard, ist der Barrique-Ausbau. Lagerung und Transport in Holzfässern sind schon seit der Antike belegt und unterschieden die Kelten von den sie kolonisierenden Griechen und Römern, die stattdessen Tonamphoren nutzten. Als man im ausgehenden Mittelalter und der Frühen Neuzeit den Export französischer Weine institutionalisierte - einerseits nach England, andererseits in die Hansestädte im Nord- und Ostseeraum -, stellte man fest, dass sich während der langen Zeit auf See zwei entscheidende Veränderungen vollzogen: zum einen war der Wein plötzlich deutlich länger haltbar, zum anderen hatte er ein betörendes Vanille-Aroma und ein feines pelziges Mundgefühl angenommen. Schnell und folgerichtig brachte man das in Verbindung mit dem Prozess des Verkohlens der Fässer von innen - eigentlich bloß eine pragmatische Technik, um die Dauben biegsamer zu machen. Dass man sich die bisher unbekannte, den freigesetzten Tanninen geschuldete Komplexität des Weines von der Kundschaft fürstlich entlohnen lassen wollte, da war man sich schnell einig - auch wenn man sich bis zum heutigen Tage nicht auf ein einheitliches Fassungsvermögen einigen konnte: das Bordeaux-Barrique wartet mit 225 Litern auf, jenes aus dem Burgund mit 228 Litern.
Weinberge im Burgund
Ein bisschen Starthilfe brauchten die Franzosen aber doch, bevor sie selbst das Heft in die Hand nahmen. Die Griechen lieferten sie, indem sie vor etwa 2500 Jahren die Hafenstadt Massalia, das heutige Marseille, gründeten und in der Umgebung die ersten Reben in die Erde brachten. Als Gallien römische Provinz wurde, war man schon so weit auf den Geschmack gekommen, dass man Wein extra aus Italien importieren ließ. Doch mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches verschwand auch die Weinkultur für viele Jahrhunderte von der Bildfläche. Das Wissen darum wurde nur an wenigen Orten konserviert, die von äußeren Krisen weitgehend verschont blieben und sich deswegen zu Zentren der Gelehrsamkeit entwickelten: den Klöstern. Die Mönche waren es, die im Hochmittelalter dem Weinbau zu neuer Blüte verhalfen: einerseits brauchte man den Rebensaft ohnehin als Messwein, andererseits verlangten die Höfe aufstrebender Adliger zu Repräsentationszwecken danach. Obwohl Frankreich früh ein zentralistischer Staat wurde, kristallisierten sich in den traditionell sehr heterogenen Regionen ganz eigene Stilistiken heraus: während man in Bordeaux die Cuvée zum Maß der Dinge erhob, erzeugte man im Burgund reinsortige Weine - die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde zum Goldenen Zeitalter. Dann brach erst der Mehltau herein und wütete fürchterlich, dann folgte die Reblaus und vernichtete alles, was noch übrig war - insgesamt eine Fläche größer als Hessen. Auch die beiden Weltkriege haben dem französischen Weinbau ziemlich zugesetzt, allerdings avancierten Bordeaux und Champagner insbesondere während der Besatzung durch die Nazis zu Lebensmitteln des Widerstands, die heimliche Träger der vaterländischen Ehre waren und deshalb mit großem Einfallsreichtum und oft unter Lebensgefahr vor den Deutschen versteckt wurden. Viele historische Narben, die man aber glücklicherweise kaum noch sieht - außer vielleicht im Elsass, das mit seiner Weinkultur so gar nicht zum Rest der Republik passen will, sondern deutlich eher an Deutschland orientiert ist. Kein Wunder, war es doch bis 1648 Teil des Heiligen Römischen Reiches und wechselte in den folgenden Jahrhunderten erzwungenermaßen ständig die Zugehörigkeit. Mittlerweile jedoch kann es mit seiner Kombination aus deutsch inspirierter Kulinarik und französischer Lebensart als Musterbeispiel für Völkerverständigung gelten.
Ressentiments sind seit Jahrzehnten überwunden, nationale Stereotypen aber dennoch irgendwo erhalten geblieben. Und kaum einer ist im Ausland so sehr im Unterbewusstsein verwurzelt wie der liebevolle des Franzosen mit Rotweinglas und Baguette. Und wie in den meisten Vorurteilen irgendwo ein Fünkchen Wahrheit steckt, ist diese angedeutete Symbiose zwischen der Bevölkerung und einem wie selbstverständlich in den Alltag integrierten Genuss immer wieder zu beobachten - nicht umsonst verlieh die UNESCO der französischen Nationalküche 2010 den Welterbestatus. Ob die intellektuelle Bohème in den Pariser Cafés oder die Fischer der Côte d’Azur in ihren kleinen Hafenbars - keine soziale Gruppe verzichtet gern auf gastronomische Teilhabe. Dabei geht es in den seltensten Fällen um Gänsestopfleber und Froschschenkel, sondern um die reichhaltigen regionalen Spezialitäten - und natürlich die sie begleitenden Weine. Jeder Franzose konsumiert im Schnitt 50 Liter Wein pro Jahr, womit er sich allein den noch etwas trinkfreudigeren Portugiesen geschlagen geben muss. Während man zur elsässischen Choucroute garnie, einem Sauerkrautgericht mit Wurst und Kartoffeln, gern den trockenen Riesling der Region reicht, ist es im Languedoc oft der tiefdunkle, gerbstoffreiche Tannat aus Madiran, der das Cassoulet begleitet, einen deftigen Eintopf aus Bohnen, Speck und Würstchen. Zum Bresse-Huhn aus der Gegend um Lyon genießt man gern einen Chardonnay aus dem Mâconnais und die gemüse- und fischreiche mediterrane Küche der Provence mit ihrem Ratatouille und ihrer Bouillabaisse verträgt sich gut mit einem kräftig-kräuterigen Rosé. Nicht ganz so einfach ist die Sache mit Austern - früher ein Arme-Leute-Essen, werden heute ganze Bücher über die korrekte Weinbegleitung verfasst. Der Klassiker schlechthin ist natürlich Champagner, aber letztlich bietet sich alles an, was trocken und entweder zitrusbetont, kreidig-hefig oder steinig-mineralisch ist: ein Aligoté ebenso wie ein Muscadet oder auch ein leichter, knochentrockener Roter. Von den über 400 französischen Käsesorten wollen wir jetzt besser gar nicht anfangen.
Man sieht also: Frankreich hat die Weinwelt geprägt wie kaum ein anderes Land - in den fachsprachlichen Begrifflichkeiten, der Kellertechnik, im Geschmack. Und ist im Großen und Ganzen eher konservativ unterwegs: Schraubverschlüsse, wie sie in Deutschland mittlerweile völlig normal sind, gelten den meisten französischen Winzern noch immer als Sakrileg. Böse Zungen würden gar behaupten, Frankreich ruhe sich zu sehr auf seiner Historie aus und zehre von vergangenem Ruhm. Aber ist es nicht viel eher so, dass die französische Weinkultur einem nie versiegenden Brunnen gleicht, aus dem sich unbegrenzt immer wieder Neues schöpfen lässt? Man nehme als Beispiel nur die Insel Korsika, die trotz ihres steilen Aufstiegs seit den 70ern und ihrer extrem breiten Rebsortenpalette nach wie vor als Geheimtipp gilt. Und wenn die Welt französischen Wein irgendwann nicht mehr haben will - wovon indessen nicht auszugehen ist -, dann trinken die Einheimischen ihn halt selbst - schon jetzt bleibt der größte Teil des erzeugten Rebensaftes im eigenen Land. Ob nun die Franzosen oder doch Gott für diese fast schon unverschämte Reichhaltigkeit verantwortlich sind, wird sich wohl nicht klären lassen - aber das „savoir vivre“ lieben sie wohl beide.