Weine aus Deutschland

Weine aus Deutschland

Wer dem Klischee folgend Deutschland erstmal mit Riesling in Verbindung bringt - der liegt völlig richtig! Knapp ein Viertel der 100 000 Hektar Rebfläche entfällt auf diesen kulinarischen Botschafter eines Landes, das sich eigentlich aufgrund seiner geografischen Lage gar nicht so sehr für Weinbau eignen dürfte: der 50. nördliche Breitengrad gilt allgemein als Grenze, südlich derer sich Rebflächen rentieren. Von allen großen Weinbaunationen der Welt hat Deutschland, das nach Ertrag auf dem neunten Platz liegt, daher wahrscheinlich das ungünstigste Klima. Diesem Malus begegnet man, indem sich die meisten der 13 Weinbaugebiete im Süden und Südwesten Deutschlands konzentrieren, viele davon liegen direkt um einen Fluss herum, der das Licht reflektiert, in der Nacht Wärme abstrahlt und auf dessen nach Süden und Westen ausgerichteten Hanglagen die Sonne im steilen Einfallswinkel herunter scheint. Meist ist dies der Rhein oder einer seiner Nebenflüsse wie Ahr und Mosel. Auf diese Weise entstanden in ihrer Ausdehnung sehr unterschiedliche Gebiete: Rheinhessen etwa ist fast 60 mal so groß wie die Hessische Bergstraße. Seit der Wiedervereinigung gehören mit Sachsen und Saale-Unstrut auch zwei traditionsreiche ostdeutsche Vertreter dazu, welche deutlich nördlich der ehemaligen bundesdeutschen Weinbaugrenze südlich von Bonn liegen und dementsprechend ein säurebetonteres Geschmacksbild aufweisen, was im internationalen Vergleich - neben dem eher geringen Alkoholgehalt - ohnehin ein Charakteristikum deutschen Weißweins darstellt.

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Im Detail

Deutschland

Aber auch die Wissenschaft ließ sich von den Herausforderungen beflügeln: an den vielen berühmten Weinbauinstituten kreuzte man Neuzüchtungen, die resistenter gegen raues Klima, Schädlinge und Pilze sind; etwa den Müller-Thurgau, Deutschlands zweiterfolgreichste Rebsorte. Dieser ist jedoch, genauso wie die ebenfalls gezüchteten Huxel-, Faber- und Scheurebe, auf dem Rückzug. Man besinnt sich stattdessen auf traditionelle Sorten zurück, etwa Gutedel und Silvaner. Und man wagt Neues, indem man sich die steigenden Temperaturen und Sonnenstunden zunutze macht oder schlicht nach Reben sucht, die nicht unter Trockenstress leiden - nicht umsonst kommt die Ausweisung neuer Anbauflächen fast ausschließlich roten Trauben zugute. In den vergangenen Jahren fanden etwa Merlot und Malbec eine Heimat auch in Deutschland. Das Bundessortenamt reagiert mittlerweile recht kulant, nachdem noch Ende der 80er ein Winzer für den versuchsweisen Anbau von Cabernet gerichtlich verurteilt worden war. Momentan sind etwa 140 der weltweit 2500 für Weinbau geeigneten Rebsorten offiziell zugelassen, einige weitere stehen in der Warteschlange. Wann der erste deutsche Syrah kommt, fragen Sie sich? Ach, den gibt es doch schon längst!

 

In Deutschland ist es, anders als etwa in Frankreich, eher unüblich, verschiedene Rebsorten miteinander zu verschneiden. Auch deshalb sind deutsche Weinetiketten sehr leicht zu entschlüsseln. Wo in Frankreich das Endergebnis zum nicht geringen Teil vom Können des Kellermeisters abhängt, ist in Deutschland der Boden der Hauptverantwortliche für das spätere Aroma: Schiefer an der Mosel, Muschelkalk in Franken, Lehm und Löss in Baden oder alles zusammen an der Nahe - die Reinsortigkeit der Weine macht es möglich, sich in die Bödenvielfalt und ihre geschmacklichen Auswirkungen regelrecht hineinzutrinken.

 

Ebenso ist die Einteilung der verschiedenen Qualitätsstufen, wieder im Gegensatz zu Ländern wie unserem großen Nachbarn im Westen, sehr leicht nachzuvollziehen, sie richtet sich ausschließlich nach dem Oechsle-Grad, also jenem Parameter, der den Zuckergehalt im Most angibt - durchaus sinnvolle Maßstäbe anderer Länder wie Aschegehalt, Extraktwerte oder Säure spielen keine Rolle. In aufsteigender Reihenfolge unterscheidet man zwischen Tafelwein, Landwein, Qualitätswein und Prädikatswein. Will ein Winzer seinen Wein als einen der beiden letztgenannten deklarieren, muss dieser einer amtlichen Qualitätsprüfung unterzogen werden, mithilfe derer fehlerhafte Weine vom Markt ferngehalten werden. Als Königsdisziplinen gelten schließlich die Süßweine wie Trockenbeerenauslesen, die aufgrund der vielen Arbeit und des hohen Risikos für den Winzer nur in 0,375-Liter-Flaschen angeboten werden. So streng das deutsche Weinrecht auch in vielen Punkten ist, so sehr missachtet es leider schwer messbare Aspekte wie die sehr unterschiedliche Beschaffenheit der Einzellagen - ein Nachteil der deutschen Technik-Fixiertheit, der vielen Winzern den Anreiz nimmt, sich vom Geschmack des Otto Normaltrinkers zu lösen und aus der Masse herausstechen zu wollen. Ein wertvolles Korrektiv ist hier der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP), der die Bedeutung des Terroirs in den Vordergrund rückt und ein ebenfalls vierstufiges, die Qualitätsunterschiede aber besser abbildendes System geschaffen hat. Seine Mitglieder, gerade mal ein Prozent der deutschen Winzer, gehören zu den renommiertesten des Landes und mit seinem Traubenadler-Symbol an der Kapsel bietet er unbedarften Konsumenten eine gute Orientierung im Weinhandel.

 

 

Bis dahin war es aber erstmal ein weiter Weg. Und denjenigen, die uns unser reiches Reben-Erbe vermacht haben, können wir heute auch gar nicht mehr Danke sagen. Aber während ihre Schwerter im Teutoburger Wald verrosten, gedeiht der Weinbau der Römer noch immer - auch so kann man Geschichte schreiben. Richtig Expertise hatten sie im Gepäck, als sie nach Caesars Gallienfeldzug weiter Richtung Germanien marschierten und aus dem Rhonetal Reben mit an die Mosel brachten. Die rudimentären Kelteranlagen der Kelten, die sich bereits früher am Traubenpressen versucht hatten, dürften sie nur mit einem müden Lächeln bedacht haben. Kaiser Domitian beobachtete den Weinbau im Norden des Reiches jedoch mit Argwohn, er trank wie die gesamte römische Oberschicht (wahrscheinlich in der Tat geschmacklich deutlich besseren) Wein aus südlichen Gefilden und untersagte daher kurzerhand das Keltern nördlich der Alpen. Mit dem stetigen Anwachsen der Truppenstärke am Limes stellte sich jedoch schon bald die Frage, wie die Unmengen an Soldaten mit den ihnen zustehenden täglichen Weinrationen versorgt werden sollten. Kaiser Probus gestattete schließlich nach einer 200jährigen (im wahrsten Sinne des Wortes) Durststrecke wieder den Anbau von Reben und gilt seither quasi als Vater des deutschen Weinbaus. Vater vieler Rebsorten selbst wie Chardonnay, Riesling und Blaufränkisch hingegen ist wahrscheinlich der Heunisch, aufgrund seiner Toleranz gegen Spätfrost die am weitesten verbreitete Rebsorte des Mittelalters. Er war möglicherweise auch der Namensgeber für den Begriff „huntsch“, also aus dem Gebiet des heutigen Ungarn stammende Reben, während „frentzsch“ französischstämmige Reben bezeichnete, die einen deutlich weniger wässrigen und sauren Wein ergaben und daher höher angesehen und besser bezahlt wurden.

 

Zu dieser Zeit war ein reinsortiger Anbau völlig unüblich, der kam erst im 15. Jahrhundert auf - einerseits war man botanisch kaum schon in der Lage, Sorten genau zu differenzieren, andererseits hatte der Anbau verschiedener Reben in einem Weinberg den Vorteil, dass jede ihre eigenen Anfälligkeiten für und Resistenzen gegen bestimmte Schädlinge oder klimatische Bedingungen mitbrachte. Auf diese Weise fiel auch in schlechten Jahren nie der gesamte Ertrag weg, sondern immer nur ein Teil. Diese Gemischten Sätze waren insbesondere für die städtische Bevölkerung ein Alltagsgetränk, da sie anders als normales Trinkwasser kaum mit Keimen belastet waren. Im Zuge der Christianisierung verlagerte sich die Weinherstellung dann von weltlichen zunehmend in geistliche Hände. Zum einen verfügten die Klöster - besonders durch großzügige Schenkungen weltlicher Herrscher, die sich mit der Kirche gut stellen wollten - über ausreichend Grund, zum anderen war man auf den Wein angewiesen - nicht etwa durstiger Mönche, sondern der täglich zelebrierten Heiligen Messen wegen.

 

 

Im Windschatten der mittelalterlichen Warmzeit gedieh der deutsche Weinbau prächtig: vom Elsass über Westfalen und Schlesien bis hin nach Ostpreußen wurden Reben gepflanzt. Die Gesamtfläche belief sich auf das Dreifache der heutigen, war größer als das gesamte Saarland. Köln, über den Rhein mit den meisten Weinregionen direkt verbunden, und Frankfurt als weltweit erste Messestadt wuchsen zu wahren Weinhandelsmetropolen heran und exportierten per Lastenschiff in die hintersten Winkel Europas, was angesichts der Aberdutzenden Zollgrenzen allein auf deutschen Gebiet eine finanzielle wie zeitliche Herausforderung war. Das Ganze funktionierte so lange, bis es irgendwann zu einem massiven Überangebot kam, der die Preise einbrechen ließ. Im 16. Jahrhundert begann damit ein langsamer, aber kontinuierlicher Abschwung. Die Bauern litten unter den stetig steigenden Zehnten, die von ihnen gefordert wurden, ebenso wie unter dem Erbrecht, das die Größe der Höfe in jeder Generation verringerte. Die Unzufriedenheit fand ihr Ventil in den zahlreichen Bauernaufständen, die der Weinbau gerade noch verkraften konnte. Der Dreißigjährige Krieg aber war zuviel: Weinberge blieben unbestellt, weil die Weinbauern als Soldaten herangezogen wurden, die Nachfrage ebbte ab, viele Rebflächen wurden gebrandschatzt und damit auf lange Zeit vernichtet. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein dauerte die Phase der Restrukturierung. Die katholische Kirche behielt dabei meist die Oberhand, denn in den protestantisch gewordenen Regionen Norddeutschlands war aufgrund der Kleinen Eiszeit mittlerweile gar kein Weinbau mehr möglich.

 

Das System der geistlichen Herrschaft konnte sich jedoch nicht mehr allzu lange behaupten: als Napoleon den Westen Deutschlands besetzte, schaffte er die Vorrechte des Klerus ab, viele Klöster wurden aufgelöst. Das sorgte für ein ziemliches Chaos, denn die kleinen Weinbauern hatten keinerlei Erfahrung damit, ihre Erzeugnisse eigenständig zu vermarkten. Dies und anhaltende Wetterextreme führten dazu, dass viele Winzer aufgaben und ihr Glück in Übersee suchten. Der Rest, der sich davon und auch der anschließenden katastrophalen Reblausplage nicht entmutigen ließ, führte den Wein auf auf bisher unbekanntes Niveau, wodurch die Zeit um 1900 herum zur wohl glanzvollsten für den deutschen Rebensaft wurde: insbesondere der Riesling festigte sein Image als König der Weißweine und wurde oft teurer gehandelt als die besten Bordeaux, um dann an den vornehmsten Tafeln des Kontinents ausgeschenkt zu werden. Nach den Verheerungen der Weltkriege versuchte man, an die ruhmreichen alten Zeiten anzuknüpfen und auf Export zu setzen, doch die pappsüßen Massenrieslinge hatten nichts mehr mit ihren eleganten Ahnen gemein. Es dauerte lange, bis man diese geradezu peinliche Epoche hinter sich gelassen hatte. Eine neue Generation von Winzern setzt immer mehr auf trockene Weine, die sich mit ihren höchstens neun Gramm Restzucker pro Liter von 15 Prozent Mitte der 80er auf aktuell 50 Prozent Marktanteil vorgearbeitet haben. Und sie reduziert den Ertrag von den sehr hohen durchschnittlichen 100 Hektolitern pro Hektar oft auf gerade einmal die Hälfte, um die Aromenkonzentration in den verbliebenen Trauben zu forcieren.

 

 

Apropos Konzentration: auch wenn nicht jeder eine Reben-Hochburg wie Rheinland-Pfalz sein kann, das über 60 Prozent zum deutschen Gesamtertrag beisteuert, so wird Weinbau doch in nahezu jedem Bundesland betrieben: ob am Nordhang des Berliner Kreuzberges, bei Keitum auf Sylt oder in Ismaning bei München - der Klimawandel und widerstandsfähige Neuzüchtungen machen Weinbau auch dort möglich, wo er bisher nie betrieben wurde. Oder dort, wo er eine lange Tradition hat, die aber irgendwann abgerissen ist - so wie etwa im Stargarder Land in Mecklenburg-Vorpommern, wo schon im 13. Jahrhundert Mönche Wein herstellten und wo heute neben jungen Rebkreuzungen auch sehr alte Sorten wie der Elbling wieder gedeihen. An diesem wächst, ähnlich wie an Gelbem Orleans, Weißem Räuschling oder Grünem Adelfränkisch, das Interesse aufgeweckter Winzer. Gut möglich, dass eine Renaissance dieser Urgesteine bevorsteht. Ob einer von ihnen im ältesten erhaltenen Wein der Welt aus dem 4. Jahrhundert steckt, der in Deutschland gefunden wurde? Ja, wir haben so einige Superlative zu bieten: hier feiert man mit dem Dürkheimer Wurstmarkt das weltgrößte Weinfest, hier findet mit der ProWein in Düsseldorf die größte Weinmesse der Welt statt, hier wurde mit fast 15000 Euro der höchste Preis jemals für einen Weißwein ab Weingut bezahlt. Und hier hat sich, ausgehend von der Pfalz, ein Kuriosum entwickelt, das weltweit seinesgleichen sucht: die Wahl der Weinköniginnen. Diese 13 Repräsentantinnen ihres jeweiligen Weinbaugebiets, die meist selbst aus Winzerfamilien stammen, wetteifern schließlich um den Titel der Deutschen Weinkönigin, die heutzutage wahrer Marketingprofi sein und weit mehr können muss als nur lächeln und winken.

 

Aber ist der Durst der Deutschen am Ende auch groß genug, um den Absatz der fast zehn Millionen Hektoliter pro Jahr zu gewährleisten? Eher nicht, Abnehmerländer wie die USA oder Großbritannien helfen uns freundlicherweise beim Genießen. Denn „nur“ knapp 27 Flaschen Wein im Jahr trinkt im Schnitt jeder Bundesbürger, aber anders als etwa bei Bier ist der Konsum über die Zeit relativ konstant geblieben. Das ist die gute Nachricht. Die nicht ganz so gute? Der Anteil an deutschen Weinen liegt dabei unter 50 Prozent, was uns wiederum zum größten Weinimporteur der Welt macht. Das ist sicherlich verbesserungsfähig, denn in Deutschland mangelt es an nichts, vor allem nicht an Innovationskraft. Die unbestreitbaren Vorteile deutschen Weins? Die Qualität ist durch die Bank gut (95 Prozent sind entweder Qualitäts- oder Prädikatswein), zusätzlich lässt sich zu jedem Gericht ein perfekter Begleiter finden: ob erdiger Silvaner zur deftigen Brettljause, blumiger Weißburgunder zu Pasta oder feinnerviger Riesling zum Sushi. Und im internationalen Vergleich ist er sehr günstig: deutsche Spitze (die gerade in Weißwein-Hinsicht nicht selten auch Weltspitze ist) kann man sich schon für einen Bruchteil dessen leisten, was ein vergleichbarer Wein etwa in Frankreich kosten würde. Einmal einen guten fränkischen Silvaner, einen Spätburgunder von der Ahr oder einen Rheingauer Riesling zu kosten, gehört zu den geschmacklichen Offenbarungen, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Und wenn man dann noch einen Schritt weiter geht und etwa einen Mosel- vergleichend gegen einen Pfälzer Riesling trinkt, erkennt man ihn, den Zauber des Terroirs - und, dass die wundervolle Weinwelt direkt vor unserer Haustür beginnt.

 

 

 

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