Weine aus Australien
Strafgefangene und Alkohol zusammenzubringen, ist eigentlich keine gute Idee, sollte man meinen. Und doch ist es streng genommen genau das, was in Australien geschehen ist. Denn der Weinbau dort setzt ein, als der Kontinent noch eine Sträflingskolonie des Vereinigten Königreiches ist. Nun könnte man auch argumentieren, es sei ja etwas Gutes, wenn Häftlinge sich in der Landwirtschaft einbringen, dann kommen sie nicht auf dumme Gedanken. Und tatsächlich scheinen die Männer ihren Job gar nicht schlecht gemacht zu haben - zumal in der Kürze der Zeit, denn während Weinbau auf der Südhalbkugel etwa in den Ländern Südamerikas schon seit dem 16. Jahrhundert betrieben wurde, dauerte es in Down Under deutlich länger: man schreibt das Jahr 1788, als die ersten Reben im Garten des neuen Gouverneurs gepflanzt werden. Viel früher wäre das auch nicht möglich gewesen, denn erst 1770 entdeckte James Cook mit dem Einlaufen seiner „Endeavour“ in der Botany Bay die riesige Landmasse offiziell. Gerüchte um einen legendären Südkontinent jenseits des 40.
Im Detail
Australien
Breitengrades hatte es schon seit der Antike gegeben, und tatsächlich war die australische Küste lange vor Cook schon von Seefahrern aus Portugal und den Niederlanden gesichtet und kartografiert worden. Allerdings hielt sich das Interesse sowohl an einer tiefergehenden Erforschung als auch an einer Inbesitznahme in Grenzen: die wüstenähnliche Trockenheit verhieß nichts Gutes im Hinblick auf landwirtschaftliches Potential und auch die Ureinwohner wirkten auf die Besatzungen nicht so, als könnte man in irgendwelche vorteilhaften Geschäftsbeziehungen mit ihnen treten. Nun, so zimperlich waren die Briten nicht, die bekannterweise so ziemlich jeden Landstrich kolonisierten, der ihnen vor das Fernrohr kam - 18 Jahre nach Cooks Besuch landete also die sogenannte First Fleet nach einer siebeneinhalbmonatigen Odyssee in der Botany Bay. Die recht zwielichtige Reisegruppe bestand aus 550 Mann regulärer Besatzung, die 750 Strafgefangene im Schlepptau hatten - und zusammen gründete man die erste Siedlung, die heutige Metropole Sydney.
Wer vorhin gut aufgepasst hat, dem mag aufgefallen sein, dass die ersten Reben bereits im Jahr der Ankunft gepflanzt worden waren. Konnten die Siedler den Genuss frischen Weines also gar nicht erwarten? Naja, der Grund dafür liegt wahrscheinlich eher woanders. Denn als raue Gesellen, die sowohl die Häftlinge als auch die Matrosen waren, verlangten die neuen Bewohner wohl eher nach etwas Stärkerem, namentlich nach Rum, der auf der Hinreise in Brasilien noch in großen Mengen an Bord geschafft worden war. Für Wein interessierte man sich, von den wenigen Offizieren und höheren Beamten mal abgesehen, die einen etwas feineren Gaumen hatten, wohl in erster Linie aus wissenschaftlichen Gründen - man wollte herausfinden, was im ungewohnten Klima denn überhaupt zu wachsen imstande war. Und im besten Falle in ein paar Jahren nach London melden können, dass fortan Lieferungen vorzüglichsten Rebensaftes aus der Neuen in die Alte Welt erwartet werden dürften. Von englischen Feinschmeckern goutierte Getränke waren zur damaligen Zeit vor allem Likörweine - diese hatten den Vorteil, durch die Aufspritung überhaupt über längere Distanzen transportiert werden zu können, ohne zu verderben. Aus diesem Grund waren auch die in den ersten Jahrzehnten erzeugten Weine vornehmlich süße, alkoholreiche Tropfen im Stil eines Sherrys.
Das englische Mutterland war hellauf begeistert von den neuen Möglichkeiten, die Australien eröffnete. War man nach der Unabhängigkeit der nordamerikanischen Kolonien im Jahr 1776 zunächst etwas ratlos gewesen, wohin man all die Verurteilten künftig bringen sollte, hatte man plötzlich wieder eine Art gigantischer Abstellkammer, in die sich alles verbannen ließ, was zuhause irgendwie störte. Das waren keineswegs nur brutale Meuchelmörder, sondern zumeist eher Kleinkriminelle, Prostituierte oder einfach nur Arme, Obdachlose oder sonstige Menschen aus den untersten Gesellschaftsschichten, die aus Sicht der politisch Verantwortlichen die britischen Städte zu überfluten drohten. Die Bevölkerungszahl wuchs also stetig an. Zudem kamen viele Häftlinge irgendwann frei und beschlossen daraufhin, sich niederzulassen und Familien zu gründen - Platz war ja genug vorhanden. Bei der Suche nach geeignetem Farmland stellte man schnell fest, dass das australische Klima keineswegs überall so glühend heiß ist wie in New South Wales im Westen des Kontinents. Präsentierte sich der Norden noch ganz ähnlich, stellte man schnell fest, dass es im Süden deutlich kühler ist - eine klimatische Vielfalt, die neben den Ex-Gefangenen auch viele Glücksritter anzog, für die das „eng“ in England zum buchstäblichen Hindernis geworden war und die sich stattdessen am anderen Ende der Welt richtig austoben wollten. Zu ihnen gehörte etwa James Busby, ein gebürtiger Schotte, von dem man eigentlich annehmen sollte, dass er noch weniger praktischen Bezug zum Winzerhandwerk habe als seine weiter südlich lebenden Landsleute. Doch weit gefehlt - Busby hatte in Frankreich Weinbau studiert und konnte sich so auf fachmännische Expertise stützen, als er Down Under ein gewaltiges Potenzial in dieser Hinsicht attestierte. Um seine Zuversicht praktisch zu untermauern, brachte er im Jahr 1833 hunderte Setzlinge europäischer Sorten ins Land. Damit erweiterte er den Kanon der Rebsorten in Australien enorm. Denn genauso wie die europäischen Einwanderer sind auch die Reben, die hier angepflanzt wurden und werden, samt und sonders Ausländer. Anders als etwa in Nordamerika fanden sich in Australien nämlich keine heimischen Wildreben, die von den Kolonisten hätten kultiviert werden können.
Besonders eine von Busby eingeführte Sorte sollte sich als prägend erweisen, und zwar bis zum heutigen Tag. Die Rede ist vom Shiraz, in seiner französischen Heimat als Syrah bekannt. Die spätreifende Traube benötigt heißes und trockenes Klima und fühlt sich deshalb sowohl im Rhonetal als auch in Australien sehr wohl. Dennoch unterscheiden sich die Erzeugnisse beider Länder insbesondere geschmacklich recht stark: denn während in Frankreich schon seit ewiger Zeit recht strikte Grünlese betrieben wurde, um der von Natur aus ertragreichen Sorte eine gewisse Finesse zu erhalten, ließ man in Australien lange einfach wachsen. In Kombination mit der Neigung des Shiraz, bei massiver Sonnenstrahlung schnell vom vollreifen in den überreifen Bereich abzudriften, entstanden so über viele Jahrzehnte Tropfen, die wenig mit der Feinheit eines Côte-Rôtie oder Hermitage gemein hatten, sondern fett und sehr alkoholisch waren, dabei kaum noch Säure aufwiesen und allgemein geschmacklich mehr an Beerenkompott erinnerten als an Wein.
Diese Machart war jedoch weniger in den fehlenden Fähigkeiten der Winzer begründet, sondern allgemein so gewünscht. Zum einen kam sie der Präferenz der Engländer für schwere, likörartige Weine entgegen. Dadurch, dass die Produzenten von Madeira, Port und Sherry plötzlich in gigantische geografische Ferne gerückt waren, schätzte man sich glücklich, einigermaßen ähnliche Alkoholika jetzt quasi im eigenen Garten erzeugen zu können - die man übrigens bis zu einem Abkommen mit der EU in den 1990er Jahren auch konsequent so benannte wie die europäischen Originale. Zum anderen hielt sich aber auch lange Zeit der inbrünstige Glaube an eine heilende Wirkung dieser Weine: egal ob Erkältung, Rheuma oder Zahnweh, ein Schlückchen Rotwein würde da schon kurieren. Viele Weingüter wie etwa Lindeman’s wurden in der Tat von praktizierenden Ärzten gegründet - ob diese nun wirklich den Gedanken von Wein als Tonikum unterstützten oder es sich früher oder später als recht lukrativ erwies, neben der Diagnose auch direkt das passende Medikament mit auf die Rechnung setzen zu können, sei mal dahingestellt. Ironischerweise war es mit Penfolds ein Winzer, der diesen äußerst fragwürdigen medizinischen Nutzen jahrzehntelang selbst angepriesen hatte, bevor er ab den 1950er Jahren zum Motor einer rapiden Qualitätssteigerung werden sollte. Frühestens ab dieser Zeit lässt sich nämlich in Australien überhaupt von Qualitätsweinbau sprechen, und bis ein mitleidiges Belächeltwerden einer tatsächlichen internationalen Anerkennung wich, sollte es noch deutlich länger dauern. Ein echter Meilenstein auf diesem Weg war der von Kellermeister Max Schubert kreierte Grange Hermitage. Schon seit 1945 hatte er mit Shiraz herumexperimentiert, 1952 dann war er sich sicher, etwas aus diesen Breitengraden bisher völlig Unbekanntes erschaffen zu haben. Das war in der Tat so, denn für den tiefdunklen Tropfen mit seinem kleinen Cabernet-Anteil fanden sich zunächst kaum Abnehmer. Australia goes Bordeaux? Dafür war die Welt noch nicht bereit. Viele Jahre und etliche kleinere Modifizierungen sollten nötig sein, bevor die großen Weinkritiker auf den Grange aufmerksam wurden - dann aber schlug er ein wie eine Granate, wurde reihenweise mit 100 Punkten bewertet und gar zum besten Wein der südlichen Hemisphäre gekürt.
Das Weingut Penfolds liegt im wohl bekanntesten Anbaugebiet des Kontinents, dem Barossa Valley in South Australia, etwa eine Autostunde von der Stadt Adelaide entfernt. Neben Einwanderern aus England waren es vor allem Deutsche, die sich hier niederließen. Als Lutheraner, die sich nicht den preußischen Tendenzen einer Unionskirche unterwerfen wollten, war Australien für sie eine Möglichkeit auf ein Leben in religiöser Freiheit gewesen. Viele der kleinen Dörfer bergen darum nicht nur ein architektonisches deutsches Erbe, sondern trugen auch ebensolche Namen wie Bethanien, Gnadenfrei oder Hoffnungsthal, bis sie im Zuge des Ersten Weltkrieges umbenannt wurden. Auch wenn sich auf der Landkarte so kaum noch Spuren der deutschen Vergangenheit finden lassen - in Sachen Weinbau kommt man hier kaum an deutschen Einflüssen vorbei. Während Namen wie Peter Lehmann und Wolf Blass noch heute in aller Munde sind, hat sich um die wirklichen Patriarchen des australischen Weinbaus wie den Schlesier Ernst Seppelt, immerhin Gründer der heute größten Kellerei des gesamten Landes, inzwischen ein Schleier des Vergessens gelegt.
So bekannt für seine Spitzenerzeugnisse das Barossa Valley auch ist, rein deklaratorisch unterscheidet nichts das 10 000 Hektar große Tal von jedem anderen, in dem Weinbau betrieben wird. Ein System höher- und niedrigerwertiger Lagen nach französischem Vorbild kennt man in Australien mit seiner extrem liberalen Weingesetzgebung nicht. Man unterscheidet lediglich zwischen sechs Großzonen, die mit den australischen Bundesstaaten einigermaßen identisch sind, und, auf einer kleinteigigeren Ebene, nochmal zwischen Geographic Indication, kurz GI genannten Herkunftsbezeichnungen. Bevor eine solche staatlicherseits gewährt wird, müssen jedoch mindestens 500 Tonnen Jahresertrag nachgewiesen werden - eine Regelung, die leider versinnbildlicht, dass man an vielen Stellen noch immer mehr auf Masse als auf Klasse setzt. Während jedoch zum Beispiel im riesigen Queensland im Nordosten so gut wie gar kein Wein angebaut wird, hat sich ein anderer Teil Australiens trotz seiner vergleichsweise geringen Größe zu einem der interessantesten Anbaugebiete gemausert: die direkt südlich von Melbourne gelegene Insel Tasmanien. Obwohl der Anteil an der australischen Gesamtlese nur sehr gering ist, spielt die Landmasse von der Größe Irlands eine historisch bedeutsame Rolle: hier wurde ab Anfang der 1820er Jahre der erste kommerzielle Weinberg des Kontinents bewirtschaftet. Tasmanien ist Cool Climate - die mildernden Einflüsse des umgebenden Pazifiks sind stets präsent. Obwohl breitengradtechnisch mit Rom vergleichbar, sorgt das ozeanische Klima und die gar nicht mehr allzu weit entfernte Antarktis dafür, dass man sich hier in einem der kältesten Weinbaugebiete der Welt befindet und eher in die Champagne versetzt fühlt. Wie dort ist tatsächlich nach der Méthode Traditionnelle hergestellter Schaumwein eines der hiesigen Aushängeschilder - die dafür nötige Säure bleibt durch das langsame und gleichmäßige Traubenwachstum anders als auf dem Festland perfekt erhalten. Den wärmeliebenden Shiraz findet man hier hingegen kaum.
Wie dieser, der übrigens zunehmend zu seiner Alte-Welt-Bezeichnung Syrah zurückkehrt, wenn das Klima eine ausreichende Ähnlichkeit zulässt, sind auch alle anderen bedeutenden Rebsorten Australiens ursprünglich französischer Herkunft: auf der roten Seite vor allem Cabernet Sauvignon und Merlot, auf der weißen Chardonnay und Sauvignon Blanc. Das Verhältnis zwischen beiden ist gar nicht so rotweinlastig, wie man in einer sehr warmen Weinbaunation annehmen könnte, sondern mit 55 Prozent rot zu 45 Prozent weiß nahezu ausgeglichen. Ein beträchtlicher Anteil davon wird ins Ausland exportiert, ja muss sogar exportiert werden, denn mit ihrem Pro-Kopf-Konsum von etwa 26 Litern könnten die Australier die gigantischen Mengen, die das Land zum sechstgrößten Weinproduzenten der Welt machen, kaum selbst vertrinken. Wichtigster Abnehmer sind schon seit langer Zeit die Vereinigten Staaten, die ebenso wie die Australier ein Faible für sehr extraktreiche Tropfen haben. In Europa hingegen ist der Absatz keine Selbstverständlichkeit: zwar sind die Preise des oft nicht einmal in Flaschen, sondern in fünf oder noch mehr Liter fassende Bags-in-Boxes abgefüllten Weines - den „goons“ - unschlagbar, aber den sich ändernden geschmacklichen Präferenzen entsprach der althergebrachte Stil irgendwann einfach nicht mehr. Konnte man darüber zunächst hinwegsehen und sich in Asien neue Märkte erschließen, begannen sich viele Winzer spätestens ab dem Zeitpunkt Gedanken zu machen, als selbst die Einheimischen vermehrt zu leichteren, verspielteren Weinen aus dem nahen Neuseeland griffen. Nun stand endgültig fest: es musste eine Alternative gefunden werden zu den sehr körperreichen und holzbetonten Tropfen. Schnell zeigte sich, dass dieses Ziel mit den etablierten Rebsorten allein kaum zu erreichen sein würde - am ehesten vielleicht noch mit dem Sauvignon Blanc, aber ansonsten brauchte die Weinwelt in Down Under frischen Wind. Der wehte zunächst die Burgunderrebsorten ins Land, allen voran den Pinot Noir. Ihn bei der Eingewöhnung ins australische Klima zu unterstützen war durchaus keine Angelegenheit, die man mal locker neben dem Tagesgeschäft verrichtet. Im Gegenteil: die sehr anspruchsvolle Traube verlangte Winzern, die sich mutig genug für ihren Anbau gezeigt hatten, in Sachen Bodenverhältnisse und Pflege alles ab. Dafür schenkte sie dem australischen Weinbau jedoch auch etwas, das diesem vorher nahezu völlig unbekannt gewesen war: den Terroir-Gedanken. Australische Weine waren nämlich bisher nicht im Weinberg entstanden, wie es insbesondere die Franzosen seit Jahrhunderten propagieren, sondern im Keller - sie waren „gemachte“ und keine „gewachsenen“ Weine. Nun, mit dem Pinot Noir änderte sich das radikal - plötzlich konnte man schmecken, wo ein Wein seine Wurzeln hatte. Auch wenn viele Winzer dem etablierten Stil bis heute treu geblieben sind, hatten einige Blut geleckt: welche Trauben böten sich für frische, filigrane Weine noch an? Es konnte nicht lange dauern, bevor irgendjemandem der Geistesblitz kam: Riesling! Auch diese waren mit ihrer Präzision meilenweit entfernt von den sehr buttrigen Chardonnays und sorgten ab den 2000ern dafür, dass sich die australische Weinwelt einmal mehr neu erfand.
Dass innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit eine solche Kurskorrektur stattfand, lag auch am Druck aus der Gastronomie. Klar, die auch heute noch omnipräsente Barbecue-Kultur ist mit den bleischweren, leicht süßlich wirkenden Shiraz nach wie vor gut bedient. Die besseren Restaurants in den Metropolen hatten sich jedoch langsam, aber sicher von der schwer im Magen liegenden britischen Kolonialküche mit viel Fleisch und Fett emanzipiert - durch Einwanderer zunächst aus Deutschland und China, später dann aus Italien, Griechenland, Thailand und Vietnam entstand im Laufe der Zeit ein bunter kulinarischer Schmelztiegel. Gab es zunächst nur jeweilige landestypische Imbissbuden, die meist nur von ihren Landsleuten besucht wurden und sich höchstens zaghaft dem Massengeschmack annäherten, entstand nach und nach immer mehr Crossover. Die Mischung aus klassisch europäischen Kochtechniken, asiatischer Aromenvielfalt und hochwertigen heimischen Produkten bildete schließlich die Grundlage der Modern Australien Cuisine, die deutlich mehr ist als das berühmte „vegemite sandwich“ - Koriander vermählt sich hier mit Thymian, Sojasoße mit Olivenöl, hinzu kommen exotische, sonst nirgendwo zu bekommende Produkte wie Känguru-, Strauß- oder Krokodilfleisch. Wohl nirgendwo auf der Welt können Köche so aus dem Vollen schöpfen und sich gleichzeitig entspannt selbst verwirklichen, und wer New York stets für den unbestrittenen Ausgangspunkt einer kulinarischen Weltreise auf wenigen Quadratkilometern gehalten hat, sollte einmal Sydney besuchen, das wie ganz Australien bisher noch nicht vom Guide Michelin kartiert wurde und darum viele eigene Entdeckungen ermöglicht: von Fish and Chips auf die Hand für wenige Dollar bis zum feinsten Omakase-Menü wird alles geboten. Selbst das lange Zeit geflissentlich ignorierte „Bush Food“ der Aborigines setzt mittlerweile immer mehr Akzente, gerade in Sachen Fisch - radikale Regionalität ist für die Ureinwohner eben kein Trend, sondern seit 60 000 Jahren gelebte Kultur. Auch weitere Rebsorten drängen durch fortwährende Zuwanderung ins Land: Gewürztraminer, Tempranillo, Sangiovese und andere bringen beeindruckende Ergebnisse hervor. Im Zuge dessen ist der Grange längst nicht mehr der einzige australische Spitzenwein - den vielen Garagen-Weingütern sei dank, deren Pioniergeist und ehrliches Handwerk die oft trägen und bis an die Haare durchtechnisierten Großbetriebe daran erinnert, dass Winzertum vor allem Herzensangelegenheit ist und die Zukunft nur mit und nicht gegen die Natur gemacht werden kann.
Von den insgesamt etwa 2500 Weingütern wurden die allermeisten erst in den vergangenen 40 Jahren gegründet - nicht nur deswegen ist Australien eines der Weinländer mit der höchsten Dynamik überhaupt, auch wenn davon in Deutschland aufgrund der großen Entfernung selten etwas zu hören ist. Höchstens dann, wenn mal wieder über die heftigen Buschfeuer berichtet wird, die riesige Flächen in eine Flammenhölle verwandeln. Aber genau damit sind wir schon beim Thema: die klimatischen Extreme machen es immer schwieriger, im Weinbau langfristig zu planen. Schon jetzt sind die Kosten für die in vielen Teilen des Landes obligatorische Bewässerung der Rebstöcke enorm hoch, ein Ende nicht abzusehen - die Frage, ob es überhaupt nachhaltig ist, für einen Liter Wein bis zu 800 Liter Wasser aufzuwenden, mal außen vor. Ob die aktuell 170 000 Hektar Rebfläche also eine stabile Größe sind oder doch wieder schrumpfen, wird sich noch zeigen müssen. Ziemlich sicher werden sie sich anders verteilen: weg aus heißen und trockenen Regionen im Westen und Norden, hinein in kühlere und regenreichere Landstriche insbesondere im Süden. Oder man geht einfach in die Höhe, wie es das Weißwein-Eldorado Adelaide Hills schon seit fast 200 Jahren vormacht. In einem Land, das größer ist als ganz Europa, hat es dabei Platz für alle: ehrwürdige Fossile des australischen Weinbaus wie das McLaren Vale mit seinen uralten Rebstöcken und Kellern ebenso wie aufstrebende Cool-Climate-Hotspots und Finessetrinker-Paradiese wie Mornington Peninsula oder das Yarra Valley. Leben und leben lassen, ein unaufgeregtes Nebeneinander von Avantgarde und Tradition, Basic und High End, dazu eine Aromenpalette von Milchschokolade, eingekochten Pflaumen und Röstholz bis zu burgundischer Kirsche, Veilchen und Graphitstaub - lange, sehr lange hat es gedauert, bis sich herauskristallisierte, was den fünften Kontinent zu einer sicheren Bank macht. Doch auch in der Weinwelt will gut Ding eben Weile haben. Und hat man passenden australischen Tropfen einmal an Gaumen und Herz gelassen, ist klar, dass sich das Warten definitiv gelohnt hat.