Das Weinbaugebiet Wachau

Österreichs berühmtestes Weinbaugebiet an der Donau

Wenn man nach einem zufälligen österreichischen Weinbaugebiet fragt, werden die meisten Menschen sicherlich instinktiv mit „Die Wachau natürlich!“ antworten. Das ist kein Zufall und umso bemerkenswerter, da das kleine Flusstal gerade einmal knapp drei Prozent der Gesamtweinbaufläche des Landes ausmacht. Es bildet dabei eine westliche Grenze: im Südwesten beginnt das Mostviertel, wo traditionell kaum Wein angebaut und auch nur wenig getrunken wird; beliebt sind dort stattdessen – der Name verrät es bereits – Apfel- und Birnenmost; im Nordosten schließt sich das Weinbaugebiet Kremstal an.

Die Kulturlandschaft Wachau, zu der natürlich auch der Weinbau zählt, ist seit dem Jahr 2000 Welterbe der UNESCO. Um dem Rechnung zu tragen, ist der Lebensarm der Wachau, die Donau, vergleichsweise naturbelassen: zwischen Mautern bei Krems und Melk existieren keinerlei Brücken über den Fluss, die Planungen für ein Wasserkraftwerk wurden infolge von heftigen Bürgerprotesten zu den Akten gelegt. Stattdessen dominieren barocke Prachtbauten das Bild, etwa das Benediktinerstift Melk ganz im Westen, dessen geradezu verschwenderische Architektur zu großen Teilen aus dem Verkauf der klostereigenen Weine finanziert wurde.

Bedeutende archäologische Funde wie die Venus von Willendorf, die steinerne Darstellung einer sehr wohlproportionierten Frauengestalt, wahrscheinlich eine Art Götzenbild, zeugen von einer Besiedlung schon in der Steinzeit, als der Homo sapiens den Neandertaler in Europa verdrängte. In der Antike kam das beschauliche Tal als Teil der Provinz Noricum ans Römische Reich, als dessen nördliches Grenzgebiet es fortan stark befestigt wurde: der norisch-pannonische Limes verlief mitten durch die Wachau und sicherte die römischen Eroberungen gegen den Stamm der Markomannen auf der anderen Seite. Ebenfalls stark befestigen ließen die mittelalterlichen Herrscher das Gebiet: das Geschlecht der Kuenringer stieß in der Wachau viele nachhaltige Entwicklungen an, geriet aber in Konflikt mit den österreichischen Herzögen und wurde schließlich zerschlagen. Leutold I., einem seiner berühmtesten Vertreter, gelang es allerdings, sein Andenken bis in die heutige Zeit zu retten. Mitverantwortlich dafür ist die Vinea Wachau, der Winzerverein, dem etwa 85 Prozent der ansässigen Winzer angehören: dieser führt Leutold, damals „Oberster Schenk Österreichs“, in seinem Wappen. Die Qualitätskriterien der Vinea Wachau verlangen völligen Purismus bei der Herstellung und sind derart streng, dass von jedem Wein eine Flasche im gemeinsamen Archiv hinterlegt werden muss, um auch Jahre später noch Qualitätskontrollen vornehmen zu können.

Einzigartig in Österreich ist das durch den Verein etablierte Klassifikationssystem für die trockenen Weine: anhand des Mostgewichtes und des zulässigen Höchstgehaltes an Alkohol unterscheidet man drei Stufen. Die unterste ist benannt nach der Steinfeder, einem leichten, flaumigen Gras, das in den Weinbergen wächst; diese darf maximal 11,5 Prozent Alkohol enthalten. Daran schließt das Federspiel an, dessen Alkoholgehalt zwischen 11,5 und 12,5 Prozent liegen darf und das seinen Namen einer Technik aus der Falknerei verdankt. Der Smaragd schließlich steht an der Spitze der Pyramide: er darf vollständig durchgären und weist daher oft recht viel Alkohol auf, für ihn verwendet man lediglich die besten Trauben, die ganz oben in den Weinbergen wachsen und daher von der meisten Sonnenstrahlung profitieren. Namenspate hier ist die dunkelgrüne Smaragdeidechse, die sich als wechselwarmes Reptil gern im Sonnenschein der höchsten Lagen auf Temperatur bringt.

Über die Hälfte der Rebflächen entfallen auf die österreichische Weißweinsorte schlechthin, den Grünen Veltliner. Er gelangt hier zu einer Finesse, die landesweit als einzigartig gilt und ist neben dem Riesling die einzige Rebsorte, die in der Wachau eine Riedenbezeichnung führen, also ihre Einzellage ausweisen darf. Eine eher wenig bekannte Spezialität der Region, die hier auch ihren natürlichen Ursprung hat, ist der Neuburger. Geschmacklich erinnert er mit seiner Fülle und einer gewissen Nussigkeit an Weißburgunder. In Rossatz-Arnsdorf hat man ihm gar ein wie eine kleine Kapelle anmutendes Denkmal errichtet. Die Tradition, alle zehn Jahre die in einem Keller unterhalb desselben eingelagerten besten Flaschen Neuburger gemeinsam zu leeren und hernach durch neue zu ersetzen, hat sich leider nicht erhalten, dafür aber die Geschichte, wie die Wachau zu dieser Rebsorte kam: als vor etwas weniger als 200 Jahren zwei Winzer in einem Kahn über die Donau schipperten, erspähten sie im Wasser einen Rebstock, den sie von Neugier getrieben einsammelten und anpflanzten – die Zufallskreuzung aus Silvaner und Rotem Veltliner war ein Geschenk der Natur, das nur auf seine Entdeckung gewartet zu haben schien. Schnell erfreute sich der nach einer der vielen Burgruinen in der Umgebung getaufte Wein dank seiner Anspruchslosigkeit und seines frühen Austriebs großer Beliebtheit, auch wenn sein Bestand heute aufgrund der Anfälligkeit für Kurztriebigkeit zurückgeht.

Die Wachau ist wie viele Weinbaugebiete in Österreich eines, in dem unterschiedliche Klimazonen aufeinander treffen. In diesem Fall sind es das gemäßigte kontinentale aus dem Westen und das heiß-trockene pannonische aus dem Osten, hinzu kommen noch die feucht-kühlen Luftmassen aus dem nördlich gelegenen Waldviertel, die die Hänge hinuntergleiten und dafür sorgen, dass immer eine gewisse Zirkulation stattfindet und es nicht zu Fäulnis der Trauben kommt. Viel wichtiger ist aber der Einfluss, den das Klima auf die Aromatik der Weine nimmt: der stetige Wechsel zwischen Warm und Kalt, Nass und Trocken lässt die Rebe ordentlich arbeiten und begünstigt die Bukettbildung ungemein, zudem hält er die Säureentwicklung im Zaum. Dies ist gerade beim Riesling einer der offensichtlichsten Unterschiede zu deutschen Vertretern: während der typische Moselriesling ordentlich beißt, halten sich diejenigen aus Dürnstein, Weißenkirchen und Spitz vornehm zurück. Ähnliches gilt für die Muskateller, die bei Weitem nicht so expressiv sind wie jene etwa aus der Steiermark. Der breiten Palette Weißwein stiehlt hier kaum ein Roter die Show: sein Anteil liegt unter zehn Prozent. Lediglich der Zweigelt bringt es noch auf nennenswerte Bestände, die aber fast ausnahmslos vor Ort konsumiert werden und nicht in den Handel gehen.

Eine Gemeinsamkeit mit der vorhin erwähnten Mosel liegt in der Verkitschung, der die Wachau seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgesetzt gewesen ist. Erst waren es die Maler, welche die idyllischen Ansichten des Tals wie am Fließband auf Leinwand bannten, später, während des Heimatfilm-Booms der Nachkriegszeit, sangen, tranken und küssten sich Publikumslieblinge wie Hans Moser, die Kessler-Zwillinge oder Conny Froboess durch die Landschaft. Ein kleiner Sehnsuchtsort war geboren, und dafür musste man nicht nach Capri oder Neapel, die heile Welt lag eine Stunde Autofahrt von der Hauptstadt entfernt. Doch nicht nur die Weinberge trugen dazu bei. Fast ebenso bekannt wie die Traube ist ein anderes Obst der Region: die Wachauer Marille. Über 100 000 Bäume verwandeln das Flusstal jedes Frühjahr in ein Blütenmeer, während ihre Früchte die lokale Küche bereichern: der Marillenknödel findet sich auf fast jeder Speisekarte, die Brennerei Bailoni in Krems-Stein erzeugt die bekannten Schnäpse und Liköre aus der Aprikose, darüber hinaus gibt es Säfte, Essige, Konfitüren und Soßen. In früherer Zeit fuhr man die gelben Köstlichkeiten innerhalb eines Tages donauaufwärts per Floß nach Wien, um sie dort auf den Märkten zu verkaufen, und während der Verheerungen der Reblausplage sicherte sie den gebeutelten Winzern das Überleben.

Die Anbaufläche für Wein von 1300 Hektar liegt für die Verhältnisse österreichischer Gebiete im unteren Mittelfeld, ist aber eigentlich recht groß, wenn man sich vor Augen führt, dass das Tal der Wachau lediglich 33 Kilometer lang ist und nur auf 15 davon Weinbau betrieben wird. Alles ist hier sehr kompakt, jedes kleine Dorf ein Weinort und deshalb lohnt es sich, auf motorisierten Verkehr zu verzichten und Erkundungen zu Fuß vorzunehmen – was überdies den Vorteil hat, im Heurigen oder auf den zahlreichen Veranstaltungen zu Ehren des Rebensaftes – Weinfrühling, Kellergassenfest, Weintaufe und viele weitere – ein paar Gläser mehr trinken zu können. Weingüter wie Emmerich Knoll, F.X. Pichler und Franz Hirtzberger gehören immerhin nicht nur innerhalb der Wachau, sondern landesweit zu den absoluten Top-Winzern, das Weingut Nikolaihof ist mit einer 2000jährigen Geschichte gar das älteste Weingut Österreichs und teilweise auf den Fundamenten römischer Wirtschaftsgebäude errichtet.

Da viele Parzellen sehr klein sind und sich für deren Winzer eine Eigenvermarktung nicht lohnt, haben sie sich in Genossenschaften zusammengeschlossen. Die wohl bekannteste ist die Domäne Wachau, die fast ein Drittel der Gesamtrebfläche bewirtschaftet. Da das Lesegut in fast allen Lagen eine außergewöhnlich hohe durchschnittliche Qualität aufweist, entstehen hier nicht nur mittelmäßige Tropfen, wie es sonst bei genossenschaftlicher Produktion oft üblich ist, sondern mit regelmäßig sehr hohen Punktzahlen prämierte. Ihre neben den Riedenweinen besten Erzeugnisse vermarktet sie unter dem Begriff Terrassen, der sinnbildlich wohl für den Großteil der Wachauer Lagen stehen kann: die Hänge an den Ufern der Donau, an denen sich die Reben bis 250 Meter über dem Fluss in den Himmel recken, sind so steil, dass man sie ohne das Anlegen von Terrassen nicht bewirtschaften könnte. Schon im Mittelalter begannen vor allem bayrische Klöster, auf diese Weise ihre Besitzungen in der Wachau aufzuwerten. Sie waren es wohl auch, die die ersten Trockenmauern anlegten, derer es in der Wachau heute insgesamt über 700 Kilometer gibt – eine Technik, die sich bis ins Jetzt erhalten und seit Neuestem auch explizit Welterbe-Status erlangt hat. Die Mauern strahlen in den kalten Nächten die Wärme des Tages ab und schaffen so etliche Bereiche mit einem eigenen Mikroklima. Für ihren Bau werden möglichst rechteckige Natursteine mithilfe komplexer, uralter Techniken übereinander geschichtet, bis ein etwa hüfthoher Wall entsteht – ohne Mörtel, der den Ablauf von Regenwasser durch die verbliebenen Ritzen behindern könnte. Die Gefahr von Staunässe ist durchaus gegeben: die Humusauflage ist manchmal nur einen knappen halben Meter dick, darunter liegt nacktes Urgestein. Gneis und Granit sind es vor allem, durch welche sich die Donau im Laufe der Erdgeschichte ihren Weg gefräst hat, durch Flugstaub haben sich oft in tieferen Lagen oft Lössablagerungen gebildet, ganz unten der Fluss Sand angeschwemmt. Aber die besten Weine gedeihen eben in den kargen Höhen, was sie schlank und mineralisch werden lässt.

Dass die Reben derart weit oben stehen, hat – neben der Qualität – sowohl rechtliche als auch pragmatische Gründe. Maria Theresia legte großen Wert auf die Sicherstellung der Versorgung ihrer Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln und verbot daher, auf solchen Flächen, auf denen auch Gemüse oder Getreide wachsen könnte, Wein anzupflanzen. Zum anderen war die Wachau trotz ihrer Idylle nicht selten Ort kriegerischer Auseinandersetzungen: im Dreißigjährigen Krieg, während der Türkenbelagerungen und in den Schlachten gegen Napoleon – wovon noch heute ins Mauerwerk mancher Häuser eingefasste Kanonenkugeln zeugen. Während die feindlichen Soldaten also zwar die Bestände in den Kellern plünderten, ließen sie doch, zu faul für den Aufstieg, wenigstens die Weinberge und damit die Lebensgrundlage der Einheimischen intakt.

Ob nun Kaiser Franz Joseph, der sich bei der Probe eines Wachauer Weines völlig verblüfft gezeigt haben soll, dass etwas derart Großartiges in seinem Reich wachse, oder die trinkfreudige sowjetische Führung, die mithilfe flüssiger Gastgeschenke überzeugt werden konnte, Österreich bereits zehn Jahre nach Kriegsende seine Souveränität zurückzugeben – die großen Tropfen aus dem kleinen Tal haben in der Historie viele Bewunderer gehabt. Aber keine Angst: man muss nach dem Genuss eines Smaragd-Veltliners keine Weltgeschichte schreiben – staunen und genießen reicht völlig aus. Text: Dario Sellmeier

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