Francia, mitten in Spania
Wir schreiben das Jahr achtzehnhundert und acht. Eine hoffnungslos übermüdete Kavallerie zu Diensten von Napoleon Bonaparte pflügt durch Spanien, weil die mal wieder aufmüpfig waren. Sie drohten, sich mit angelnden Sachsen, kwatsch: mit Angelsachsen zu verbünden, was dann ja auch wirklich ein paar Monate lang geschah.
Als die Truppen mitten in Spanien landeten, im Zentralgebirge (Massif central), hielten sie Rast. Einige Krieger wuschen sich die Füße in einem kleinen Bach und riefen: „Mon dieu! Das ist ja fast wie in Francia.“ Die Krieger zogen weiter, aber der kleine Bach im Zentralgebirge hieß von nun an río Francia und die Gegend Sierra de Francia.
Wir wissen nicht, was der Traumdeuter, der diese Geschichte erzählte, geraucht hat, wahr indes ist, dass es da ein Gebirge gibt, das Sierra de Francia heißt, weil es da einen Fluss gibt, der Francia. Der bekannteste Berg, er bringt es immerhin auf siebzehnhundert siebenundzwanzig Meter, heißt im Übrigen Peña de Francia (nicht zu verwechseln mit dem Grand de Francia, das ist der Montblanc). La Alberca ist ein pittoresker Schieferort, ein beliebtes Bikerziel, Radfahrer steuern die Gegend auch an.
Dass der Weinbau in dieser Region fast völlig zum Erliegen kam, hatte zwei Gründe: die Eisenbahn und die Schlafmützigkeit, echter und falscher Mehltau sowie echte und falsche Reblaus indes spielten kaum eine Rolle. Schlimm war indes die Eisenbahn. ¿Hep? Gibt es eine Eisenbahn in der Sierra de Francia? Natürlich nicht, und genau das ist das Thema. Denn bevor die Eisenbahn ihren Siegeszug quer über die Iberische Halbinsel antrat, wurde Wein in Fässern per Ochsenkarren transportiert. Für die Winzer aus La Alberca, aus Miranda de Castañar, aus Garcibuey, Molinillo oder einem der anderen sechs Dörfern der Region, war dies von Vorteil, weil Salamanca so weit nicht weg ist, auch Ávila war gut erreichbar. Selbst bis nach Madrid kam man, noch konnte man der Mancha die Stirn bieten. Wegen der Qualität? Keine Ahnung. Ganz sicher aber wegen der Transportwege. Bill Clinton würde raunen: „It’s the logistics, stupid!“ Dann kam die Eisenbahn. Und plötzlich war eine ganz andere Kennzahl entscheidend: der Zugang zum nächsten Bahnhof. Plötzlich war die Sierra de Francia quasi am Ende der Welt. Denn per Zug konnte Wein billigst von der Mancha gen Salamanca, gen Ávila und natürlich gen Madrid geschickt werden. Ein Weintransport von Garcibuey nach Ávila war teurer als ein Weintransport von Toro nach Frankreich! Die Mancha und diverse Regionen in Valencia und Murcia begannen, all die traditionellen Weinbauregionen vom Markt zu drängen, nicht nur die Sierra de Francia litt darunter, Arribes war in der gleichen Situation, vielleicht sogar noch schlimmer dran.
Dennoch berappelte sich der Weinbau in der Sierra de Francia, in der Boomphase des zwanzigsten Jahrhunderts gab es fünf Cooperativen, eine jede kelterte jede Menge Wein. Was man damals nicht mitbekommen hatte: in anderen Regionen gingen die Weingüter dazu über, ihre Flüssigkeiten in Flaschen abzufüllen, die Genossen indes setzten nach wie vor auf die sechzehn Liter fassenden cántaros. Und damit hatten sie sich verzockt. Der Markt brach komplett zusammen. Am Ende waren es Billigweinproduzenten und Schnapsbrenner aus Galicien, die das schon dahinsiechende Feuer am Glimmen hielten. Als die Weinbauregion im Jahr zweitausend und sieben einen D.O.-Status erhielt, standen gerade einmal achtzig Hektar Rebfläche auf dem Zettel. Natürlich gab es auch Reben, die nicht in die D.O. integriert wurden, insgesamt kommt man vielleicht auf zweihundert Hektar.
Natürlich durfte die D.O. nicht D.O. Sierra de Francia heißen, Napoleon wäre sicher noch einmal vorbeigekommen, um das zu „besprechen“. Ein paar Jahr zuvor hatte sich die in Zamora ansässige Bodega Fariña eine blutige Nase geholt, als sie meinte, ihre Kellerei Bodegas Porto nennen zu müssen. Da die Sierra de Francia sich nun einmal in der Provinz Salamanca befindet, erfand man einfach eine Sierra de Salamanca. Man muss nicht nachdenken und zumindest der Name Salamanca ist in der ganzen Welt bekannt. Für den Wein von dort indes gilt das nicht.
Die wichtigste Rebsorte in der Sierra de Francia nennt sich Rufete, eine blaue Sorte von eher durchschnittlicher Farbausbeute. Fruchtig ja, schon fast weiße Blüten. Gleichwohl sind sortenreine Rufetinos, wenn da nicht ein ganz spezieller Boden im Hintergrund lauert, betont langweilig. Ihre wichtigsten Partner sind Garnacha, es gibt da eine Spielart in der Sierra, die Calabrés genannt wird, man kann sie aber auch mit Brunal, in großer Not sogar mit Tempranillo mischen.
So ganz ist das aber noch nicht erforscht, da es bislang nur wenige ordentliche Weingüter in der Sierra de Francia gibt. Cámbrico ist eines davon, das aber ist ein Schinkendealer aus Salamanca, der in Zeiten des spanischen Immobilienbooms mit teuren Weinen Geld scheffeln wollte. Das schlug fehl, unlängst hat man den Önologen entlassen, den einzigen Menschen in der Bodega, der von Wein wirklich etwas verstand. Vinos la Zorra ist vor allem ein, zugegebenermaßen durchaus gutes, Restaurant, Mirasierra, nebst Weingut. Hier findet keine Forschung statt, auch wenn Olga Martín, bitte nicht mit Ana Martín verwechseln, das hat sie nicht verdient, gerne mehr forschen würde. Alles andere kommt von außen und genau eines dieser Projekte ist wirklich spannend. Die anderen: Esteban Maillo aus Zamora (Cuatro Mil Cepas) macht genau einen zugeholzten Rufete (Corneada), Ismael Gonzalo und David Sampedro Gil machen je einen Wein, um einen Wein aus der Sierra de Francia anbieten zu können. „Ich mach‘ dann mal ein Fass“ knurrte der Bär einige Ausgaben zurück.
Der erste, und letztendlich einzige, der sich um dieses Thema wirklich gekümmert hat, ist ein Kantabrer, der in Madrid lebt und dort in unterschiedlichen Sachen involviert ist, die aber alle mit Wein zu tun haben.
César Ruiz, der Rufeteflüsterer
Also: in der ganz wirklichen Wirklichkeit ist César Ruiz Weinverkäufer und Weinimporteur, letzteres vor allem für Weine aus dem Burgund und aus dem Piemont. Ihn selbst interessiert das Thema Sierra de Francia und insbesondere Rufete.
Vor einigen Jahren gründete er, zusammen mit ein paar Madrilener Socios (das Weinverkäufergehalt ist so üppig dann auch wieder nicht) das Projekt Madrágora Vinos. Mandrágora hat kein eigenes Zuhause, wohl aber eigene (gepachtete) Weinberge. Sie befinden sich im Zentrum der Sierra de Francia, die Reben stehen auch Schiefer, aber auch auf Granit. Insgesamt sind das anderthalb Hektar, wovon dreißig Ar auf Cariñena entfallen, der Rest ist Rufete.
Sonderlich üppig ist die virtuelle Bodega, beheimatet in Cámbrico, dann auch wieder nicht. Denn da stehen gerade einmal ein großer Holztank, der fünftausend Liter fasst, sowie ein paar kleine Barriquelein. Wie unschwer zu vermuten gibt es aktuell genau zwei Weine: einen aus dem Tank und einen aus den Barriques. Der Tankwein, einhundert Prozent Rufete, nennt sich Taragaldabas, es ist ein sogenannter Vino de año, will sagen: er wird immer vor der nächsten Ernte abgefüllt. Wobei das mit dem immer so eine Sache ist, denn der erste Jahrgang war der aus zwanzig zwölf, aktuell sind die fünfzehner Weine. Das ist Eleganz und Mineralität und nicht zu viel Frucht (Rufete ist da durchaus anfällig).
Der zweite Wein nennt sich Molinillo, auch dies ist ein sortenreiner Rufete, allerdings in kleinen, gebrauchten Barricas ausgebaut. Dieser Wein ist ein klein wenig stoffiger als der Tragaldabas, aber dennoch elegant und vielschichtig. Ein klein wenig teurer, aber der Aufschlag hält sich in Grenzen. Molinillo deswegen, weil es da ein kleines Dorf gibt, das so heißt. Von dort stammen die Trauben. Ein Ortswein also, Lagenweine von dort sind kompliziert, weil neben allen Trauben einer Lage auch noch ein halber Bär im Fass Platz hätte. Das ist das eine Projekt. Schon spannend, aber es geht noch spannender!
Seit dem Jahr zwanzig sechzehn gibt es nämlich noch ein zweites: Viñas Serranas. Diese Bodega, sie gibt es wirklich, ist knapp neben der D.O. Sierra de Salamanca beheimatet, in Linares del Riofrío, die Trauben indes stammen alle aus dem Gebiet der Sierra de Salamanca. Früher gab es an gleicher Stelle schon einmal eine Bodega, sie nannte sich La Dama Juana, war aber etwas uninspiriert, sie litt zwei Jahre lang, dann wurde sie erlöst.
Viñas Serranas ist ein Projekt von vier Leuten, einer davon ist César Ruiz. Dazu kommt Miquel Udina, der Director Técnico der D.O. Sierra de Salamanca. Um eventuelle Interessenskonflikte zu vermeiden, wurde diese Bodega bewusst nicht innerhalb der denominación de origen angesiedelt. Alberto Martín war lange Zeit im Hauptberuf Önologe in Bodegas Cámbrico, home of Mandrágora; der vierte im Bunde ist wohl der wichtigste: er nennt sich Bosi, ihm gehören fast alle Weinberge, in denen Viñas Serranas Trauben einsammelt. Sie sind über die gesamte Region verstreut: Villanueva, Miranda, Garcibuey, San Esteban, Santibañez, Miranda del Castañas und Molinillo. Alles alte Rebanlagen, alles ökologisch, ohne aber zertifiziert zu sein. Die Reben stehen teilweise auf Schiefer, teilweise auf Granit. Und: es gibt weit mehr als nur Rufete. Man findet da auch Calabrés, Aragonés, und die weiße Sorte, von der noch nicht ganz klar ist, wie man sie in der Zukunft nennen wird.
Von dieser weißen Sorte gibt es aktuell zwei Barricas, deren Inhalt deutlich unterschiedlich schmeckt…. Dazu kommen fünf rote Lagenweine (ohne Bär in den Fässern), jeweils ein Barrique: einer aus Monforte, je zur Hälfte weiß und rot; einer aus San Miguel de Valero, nur Calabrés; einer aus Miranda del Castañas, Rufete und Aragonés; noch einer aus Miranda, aber auf Schiefer: Tempranillo, Rufete und Blanco; und einer aus Molinillo, wo schon der Top-Wein von Mandrágora wächst. Das ist alles durchaus spannend, unterschiedlich, aber stets vielschichtig. Für den allerersten Jahrgang ist das ganz schön viel Holz.
Der Ciclón ist nicht nur der Basiswein von Viñas Serranas, im Jahr zwanzig sechzehn war es darüber hinaus auch der einzige Wein der Bodega. Die Lagenweine sind alle Jahrgang zwanzig siebzehn.
Die Trauben für diesen Wein wurden vor allem in Granitparzellen eingesammelt, gut zwei Drittel aller Trauben stammen von dort. Konkret: Miranda del Castañar, Molinillo, San Esteban de la Sierra, Santibañez de la Sierra. Die Schieferciclóntrauben stammen aus Monforte, etwas oberhalb von Mogarraz gelegen, aus Garcibuey sowie aus Villanueva de Conde. Ein wahrer Regionswein also.
Die erste Zeit seines Lebens verbrachte der Ciclón in Stahltanks, die malolaktische Säureumwandlung indes durchlief er bereits in großen, gebrauchten Barricas, in denen er dann noch einmal knapp zehn Monate reifte. Am zwölften Oktober (spanischer Nationalfeiertag) landete er dann in neuntausend Flaschen.
Dies ist ein feiner, durchaus komplexer Wein, in dem Frucht und Frische dominieren. Dafür ist vor allem der Rufete verantwortlich, etwa siebzig Prozent entfällt auf diese Sorte. Aragonés gibt Säure, Calabrés Körper und etwas Kraft, ein paar Trauben der noch nicht benannten weißen Sorte runden das Spektrum ab.
Wenn das die Zukunft der Sierra de Francia ist, dann schauen wir frohen Mutes in eben diese! Text: El oso alemán