Wir müssen reden!

Wir müssen reden!

Natürlich warst Du meine erste große Weinliebe, damals, dreihundert sechzig volle Monde ist das her, als es mehr als die Hälfte aller aktuellen Weinregionen Spaniens noch gar nicht gab, in einer Zeit, in der el oso alemán sein Dasein als obärfränkischer Nebenerwebsweinhändler fristete. Und es gab Dich, Dich, und nicht viel mehr als Dich. Gut, der Miguel aus Pacs del Penedès war auch schon da, Don Álvaro aus dem Palacio verkaufte damals noch Barricas. Berberana Gran Reserva, bei einem Importeur aus Troisdorf günstig erworben, das waren die ersten tapsigen Schritte des oso alemán.

Seitdem ist viel passiert. Und darüber müssen wir mal reden, so von Bär zu Rebstock. Ein Bär mit vielen Rebstöcken, mehr als einundsechzig tausend Hektar sind da mit Reben bestockt. Und das schon ziemlich lange. Aber irgendwie hast Du Dich gewandelt, alte Rioja.

Gut, es ging Dir schon einmal schlechter, damals, vor gut zwanzig Jahren. Weißt Du noch, wie das war, als die dunklen Riberas auf den Markt kamen, als Dir plötzlich, einem unheiligen Geist gleichend, eine Konkurrenz erschien, mit der Du nie und nimmer gerechnet hattest? Ein echter Rivale! Auf kastilischem Boden. Unerhört. Fast schon Rebellion! Gut, das hatte auch sein Gutes, denn nur so konnte das zarte Pflänzlein entstehen, all diese neuen Projekte, die eine Rioja suchen, welche schon lange verschwunden war.

Denn damals warst Du klar auf dem Weg ins Fegefeuer, mit Deiner Tempranillo-Manie, mit Quatrupillonen von Weinen, die einfach nur langweilig waren.

Weißt Du noch, wie das früher war, vor mehr als einhundert Jahren? Als die Laus den Reben zu nahe kam und alles fraß, was nicht auf Sand gebaut war. Wohl das einzige Mal in der Geschichte der Weinheit, als auf Sand bauen etwas Positives war. Ein paar dieser alten Kerle stehen da noch, in der Sierra de Yerga, in der Sierra de Alhama; die eine oder andere Parzelle hat die Laus gar nicht entdeckt, Bergsteigen war nicht ihr Lieblingssport.

Und selbst danach war noch alles beim alten, Rioja war eine Region, in der er viel Weißwein gab, dazu viel Garnacha, Mazuelo, Graciano und all die Sorten, die im Laufe der Zeit verschwunden sind oder verdrängt wurden. Glücklicherweise gibt es ein paar Weinberge, in denen solche alten Sorten noch stehen: Maturana etwa, oder Monastell, Rojal, Túrruntes (der nix mit Torrontés zu tun hat). Scharf neben einer Kurve zwischen La Bastida und Briñas gibt es eine Parzelle, in der Rebstöcke stehen, von denen niemand so genau weiß, was es ist. So etwas gab es damals zuhauf. Ach, war das schön.

Heute gibt es das fast gar nicht mehr. Etwa neunzig Prozent aller roten Stöcke heißen mit Nachnamen Tempranillo, einzig die Garnacha kann sich mit Ach und Krach behaupten. Aber auch nur, weil es im Südwesten, in Badarán, in Cordovín und in Cárdenas und in einigen Dörfern außen herum noch immer die Tradition der Claretes gibt, weiß (meistens Viura, seltener Garnacha) mit roter Garnacha verquirlt. Wenn das nicht wäre… Na gut, unten oben findet man auch noch Garnacha. Und Mazuelo. Und Graciano. Unten oben, das ist eine der spannendsten Regionen der Rioja. Unten, das ist die Rioja Baja, die auf Geheiß [sc bitte dazudenken] einiger Kommerzapostel jetzt Rioja Oriental heißen muss. Oben, das sind die Bergregionen in der Rioja Baja. Eigentlich ist das eine groteske Sache: dort unten, zwischen Autol, Quel und Arnedo, aber auch noch weiter unten, in Grávalos und den Bergdörfern des Río Alhama stehen die Reben auf siebenhundert Metern, teilweise noch einmal hundert Meter weiter oben. Im Biosphärenreservat des Alhama soll es Parzellen auf knapp tausend Metern geben. Die Rioja Alta kriegt Schnappatmung, wenn man sie daran erinnert. Diese Ecken sind ein Juwel, denn dort findet man all das, was man sonst nicht findet. Da die Parzellen ohnehin klein waren und das Land zerklüftet ist, lohnt sich industrieller Weinbau dort nicht. Das kriegt man unten, ganz unten, besser und billiger hin. Aber irgendwann wollte das niemand mehr hören. Dafür gab es echte „Innovationen“, El Coto zum Beispiel, oder tausend andere Exponate industrieller Langweiligkeit.

Mit dem, was man landläufig als Rioja kennt, hat das natürlich nichts zu tun. Denn das sind eben keine latent hohlen Säuerlinge, wie sie in Cenicero, in Guardia, in Haro oder in wo auch immer entstehen, kein Marqués de Cáceres, kein Griñón, kein Felix Solís. In Blindproben käme wohl niemand auf die Idee, dies als Rioja einzustufen.

Ist es aber. Und genau das, liebe Rioja, ist Deine Aufgabe für die Zukunft. Wir müssen weg von der Tempranillitis, Rioja-Weine waren zeitlebens (in der Zeit vor den Marketing-Päpsten) Cuvées aus verschiedenen Sorten, weiße und blaue (Ribera übrigens auch). Nur kann man das halt schwer vermarkten. Rioja – Tempranillo – Crianza – Reserva – Gran Reserva. Fünf Wörter, das musste reichen, um die Region in der Welt bekannt zu machen. Wobei: das, was im achtzehnten und auch noch im neunzehnten Jahrhundert gen Amerika verschifft wurde, war kein sortenreiner Tempranillo. Damals stand diese Sorte auf nicht einmal zehn Prozent der Rebfläche, die Weine waren ganz anders.

Überhaupt: die Weißweine. Zu Zeiten unserer Großbären und Urgroßbären war die Rioja eine Weißweinregion, zumindest hauptsächlich. Viura und weiße Garnacha, Rojal, ein klein wenig echte Malvasía, Albillo Mayor (den die Riojanas und Riojanos aus irgend einem Grund Túrruntes nennen), Maturana Blanca, aber auch diverse Sorten, die aus dem Südwesten Frankreichs gen Rioja schwappten, die Bandbreite war immens. Irgendwann ging das verloren, und zwar nicht nur, weil die Leute Tempranillo schrien. Sondern weil sich der Markt der Weißweine veränderte: Edelstahl und temperaturgesteuerte Gärführung brachten Weine hervor, die es so hundert Jahre zuvor nicht gab. Und Du, liebe Rioja, hast verträumt über Felder und Auen geblickt, denn wer in Spanien kann schon den großartigen Weißweinen von Viña Tondonia und zwei oder drei anderen Kellereien das Wasser reichen. Mag sein, aber der Markt geht anders. Dann stand da halt das Penedès und später Rueda, mit frischen Weinen, die auch ein weniger detailverliebtes Publikum ansprachen. Und Du? Hast Deine seelenlosen Viuras auf den Markt geworfen, die niemand mehr haben wollte. ¡Schluchtz!

Als es dann schon fast fünf nach zwölf war, kam der erste Rundumschlag. Zwar musste Rojal noch immer Malvasía heißen, dafür waren plötzlich Chardonnay, Verdejo sowie Sauvignon Blanc als Qualitätsrebsorten zugelassen. Rebsorten ja – Qualität hmmmm. Ganze dreihundert Hektar Verdejo gibt es inzwischen in der Rioja, fast die Hälfte steht in Navarra, wo es schon fast egal ist, was da steht. Chardonnay und Sauvignon bringen es zusammen gerade einmal aus zweihundert und fünfzig Hektar Rebland. Großbodegas brauchen das nicht, weil die in Rueda oder in der Mancha oder in Aragón füllen (lassen) und für kleine Bodegas ist das Thema ohnehin nicht relevant.

Dafür gibt es jetzt ja die neue, t’schuldigung, Sau, die Du durch die Dörfer getrieben hast: Tempranillo Blanco. Diese Sorte gibt es erst seit wenigen Jahrzehnten, ausgerechnet bei Paco García tauchte sie zum ersten Mal auf, die verantwortlichen Teilzeitfunktionäre tun aber so, als ob diese Sorte die Rettung wäre. So ganz unter uns: die weiße Mutation einer säurearmen Rebsorte ist immer noch säurearm, fehlende Farbpigmente spielen da keine Rolle. Dazu kommt, dass diese Sorte gerade verstärkt dort angebaut wird, wo Platz ist; nicht jedoch dort, wo sie am besten gedeihen kann. Tempranillo Blanco muss auf mineralischen Boden, erdig sollte er auch sein, vulgo: fetter Lehm und möglichst weg von zuviel Sonne. So, wie Du das gerade angehst, gibt das nix.

Ich könnte jetzt noch stundenlang weiter jammern, denn über all das, was in den letzten vier Jahrzehnten schiefgelaufen ist, haben wir ja noch nicht einmal ansatzweise gesprochen. Das wäre aber wenig zielführend. Besser ist es, mal ganz kurz auf die einzugehen, die Sachen anpacken.

Von den großen Betrieben darf man da nicht allzu viel erwarten. Gut, Viña Tondonia hat endlich mal die Brett-verseuchten Barricas rausgeworfen. Die Weine sind wieder besser geworden, die Marquesse keltern nach wie vor traditionelles Zeuch. Und da mag der lustige Luis, der für den lustigen Robert schreibt, der gerade seine Zeitung an lustige Chinesen und lustige Franzosen verkauft hat, noch so viel loben: selbst wenn die bei Bilbainas (Codorniu) die Qualität des Viña Pombal um dreihundert Prozent steigern würden, wer bei nahe null anfängt, hat einen langen Weg vor sich.

Zugegeben: seit den Tagen, in denen ein gewisser M. A. de Gregorio die modernsten Rotweine der Rioja kelterte, ist viel geschehen. Typen wie der Roberto mit seinen Tentenublos, der Gorka mit den schlechten Steinen oder aber der Javier mit seinen vier Solos haben schon Ausrufezeichen gesetzt. Der Bryan aus Südafrika, der mal bei dem Dominik aus Süd-München im Mittelpriorat gearbeitet hat, setzt ganz andere Akzente, Und der Oxer, jawohl, der mit dem komplizierten Familiennamen, kann nicht nur Kalamity, er mag und macht auch Suzanne und noch ein paar Weine, die wahre Terroirmonster sind. Der mit dem Philar tanzt ist auch nicht schlecht. Und es gibt noch ein paar mehr.

Schon klar, in der Summe bringen die (noch) nichts auf die Waage, vielleicht eine Million Flaschen zusammengerechnet, bei derer dreihundert in der ganzen Region.. Aber auch ein langer Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Und diesem ersten Schritt, diesem Anfang, wohnt, wie jedem Anfang, ein Zauber inne.

Wahre Liebe rostet nicht. Text: El oso alemán

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