Douro

Douro

Nein, für sich allein haben die Portugiesen ihn nicht, den Douro - den drittlängsten Fluss der Iberischen Halbinsel müssen sie sich mit den Spaniern teilen. Dort entspringt er auf über 2000 Metern Höhe in den Bergen von Soria unter dem Namen Duero, fließt dann etwa 570 Kilometer durch den spanischen Norden, bis er auf die Grenze zu Portugal trifft, die er über 110 Kilometer auch auf natürliche Weise bildet. Dann schlägt er wieder westliche Richtung ein und mündet bei Porto schließlich in den Atlantik. Dieser letzte Teil des Flusses ist es, der die Lebensader des wohl berühmtesten Weinbaugebiet Portugals bildet: Willkommen in Douro!

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Im Detail

Douro

Schon vor mehreren tausend Jahren wurde hier vergorener Traubensaft getrunken, wenn auch von wild wachsenden Reben und auf recht primitiven Niveau gekeltert. Als erste Fachleute erwiesen sich die Römer, indem sie selbst Weinberge anlegten. Deren Wissen eigneten sich erst die im Zuge der Völkerwanderung auf die Iberische Halbinsel gelangten germanischen Sueben, später dann die aus Nordafrika übersetzenden muslimischen Mauren an. Obwohl diese keinen Weinbau zur Gewinnung von Trinkalkohol betrieben, sondern auf Rosinen und Hochprozentiges zur Duftstoffherstellung aus waren, blieben die Rebstöcke stets landschaftsprägend. Doch während sie die meiste Zeit kaum mehr als das Interesse der heimischen Bauern geweckt hatten, wurden nach der christlichen Rückeroberung zwei einflussreiche Gruppen auf sie aufmerksam: Mönchsorden, die auf der Suche nach einer langfristigen Quelle für den täglich benötigten Messwein waren, und der Königshof, der Wein einerseits aus Repräsentationszwecken schätzte, andererseits schnell ein Exportgut witterte, das Geld in die Staatskasse zu spülen in der Lage war. Der Weinbau wurde ab dem Hochmittelalter also nicht mehr nur so nebenbei betrieben, sondern gezielt gefördert - der rasche Aufstieg Portugals zur halb Südamerika beherrschenden Seemacht geht maßgeblich auf ihn zurück. Mit England, das aufgrund der klimatischen Bedingungen selbst nur wenig Weinbau betreiben konnte und zur Einfuhr ausländischer Produkte gezwungen war, kristallisierte sich ab dem Spätmittelalter ein zuverlässiger Abnehmer heraus. Lange Zeit fuhr Portugal gut damit, den zu dieser Zeit noch leichten, recht säuerlichen Rotwein im Tausch gegen Stockfisch und Wolle den Engländern zu überlassen - damals noch nicht von Porto aus, sondern vom 100 Kilometer entfernten Viana do Castelo.

 

 

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts jedoch trafen mehrere Umstände zusammen, die sich für das Land als absoluter Glücksfall erweisen und einen regelrechten Boom einleiten sollten: zum einen erlangte man nach langer Zeit der Fremdherrschaft endlich wieder die Unabhängigkeit von Spanien, zum anderen führten diplomatische Verwerfungen über den Ärmelkanal hinweg dazu, dass England Produkte aus Frankreich mit enormen Einfuhrzöllen belegte. Das war ein ziemliches Problem, denn die Inselbewohner hatten zu dieser Zeit den höchsten Weinkonsum weltweit. Englische Kaufleute streiften also schon bald durch Portugal und hielten Ausschau nach Ersatz für den bisher von den Franzosen bezogenen Rebensaft. Fündig wurden sie in einem Kloster in Lamego, wo sie voller Erstaunen beobachten konnten, wie ein Mönch schweren, dunklen Most mit Branntwein vermengte. Diese Aufspritung, fachsprachlich Fortifikation, war dabei nicht unbedingt neu: englische Kaufleute hatten schon seit langer Zeit Brandy unter den Wein gemischt, damit er auf den Transportreisen Richtung Southampton und Plymouth nicht verdarb und dann als Essig ankam. Allerdings war dessen Gärung zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen, der Wein somit trocken. Der Mönch hingegen gab den Hochprozentigen in noch nicht durchgegorenen Rebensaft und stoppte durch die Abtötung der Hefen den Gärprozess: ein gewisser Zuckeranteil wurde nicht in Alkohol umgewandelt, sondern verblieb im Wein und machte diesen süß - eine Innovation, die den Engländern sofort den Kopf verdrehte und eine schier unglaubliche Nachfrage erzeugte.

 

 

Um diese zu befriedigen, musste man den steilen Hängen an den Ufern des Douro Herr werden und griff flächendeckend auf die Technik des Terrassenweinbaus zurück. Heute geschieht das auf moderne Weise durch bloße Erdstufen, die jedoch oft erst möglich wurden, nachdem man die zerklüfteten Felsen mit Dynamit weggesprengt hatte. Teilweise finden sich aber noch uralte, deutlich weniger erosionsanfällige Trockensteinmauern, deren Erdfüllung mühevoll vom Flussufer heraufgeschleppt werden musste. Nicht einmal ein Fünftel des Tales ist mit Reben bepflanzt, so unzugänglich sind viele Bereiche noch immer. Zusammen mit dem windungsreichen Fluss fühlt sich der Besucher ein ums andere Mal an die Mittelmosel erinnert, mit welcher der Douro noch etwas anderes gemein hat: die Schieferböden, die in der Nacht die Wärme des Tages an die Rebstöcke abstrahlen. Deren Qualität erkannte der portugiesische Premierminister Marquês de Pombal schon im Jahr 1756: durch den Portwein-Booms zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatten viele Winzer minderwertige Qualität auf den Markt gebracht, etwa blasse Weine aus anderen Regionen mit Holundersaft gefärbt, um schnell auf der Erfolgswelle mitschwimmen zu können. Dem Premier war das ein Dorn im Auge, er fürchtete um die Reputation seines Landes. Also gründete der überzeugte Merkantilist, der auf Außenhandelsbilanzüberschüsse setzte, um die staatlichen Finanzen zu sanieren, die noch heute bestehende „Companhia Geral da Agricultura das Vinhas do Alto Douro“. Sie sollte über verbindliche Gütekriterien wachen und zu diesem Zweck ein Kataster der Uferbereiche anlegen, die man mit steinernen Markern zusätzlich von der Umgebung abgrenzte. Anhand dessen ermittelte man nun ein Rangsystem, das sich auf Parameter wie Hangneigung, Klima, Ausrichtung und Bodenbeschaffenheit stützte - und schuf damit neben Chianti eine der ersten geschützten Herkunftsbezeichnungen der Welt.

 

 

Auch die Rebsorten unterteilte man in drei Klassen, obwohl damals die wenigsten Winzer recht wussten, was genau in ihren Weinbergen wuchs - man produzierte meist einen Gemischten Satz. Die Dreiteilung hat sich im Grunde bis heute erhalten, denn man unterscheidet zwischen empfohlenen, erlaubten und tolerierten Reben; aber inzwischen hat sich fast überall der reinsortige Anbau durchgesetzt. Die wohl wichtigste für Port und Rotweine gleichermaßen ist die als edelste Rebe der Region geltende Touriga Nacional. Ihre Beeren sind klein, die Erträge nur gering, doch dafür hoch aromatisch, sehr farbintensiv und mit oft schwindelerregendem Extrakt und Tannin. Flankiert wird sie von Touriga Franca, Tinta Barroca, Tinta Roriz und Tinto Cão - ebenfalls wahre Kraftpakete. Doch auch weiße Trauben sind unter den zahlreichen Neuanpflanzungen der jüngsten Vergangenheit, etwa der Viosinho, dessen leichte und blumige, dabei aber säurebetont-frischen Weine einen interessanten Kontrast zu den schwarzfruchtigen Roten mit ihren edelherben Röstaromen bilden. Den meisten Weinkonsumenten sind all diese Namen kaum ein Begriff, da hauptsächlich Cuvées produziert werden, auf deren Flaschen die Rebsorten nicht aufgeführt sind.

 

 

Im eigentlichen Weinbaugebiet vollzieht sich Wachstum, Lese und Pressung der Trauben sowie die Aufspritung des Mostes, die eigentliche Reifung des Weines hingegen findet weiter flussabwärts in Vila Nova de Gaia statt, einer Küstenstadt auf der Südseite des Stromes direkt gegenüber von Porto - hier haben fast alle großen Kellereien ihren Sitz. Früher transportierte man die Fässer auf kleinen, langgestreckten Booten, den sogenannten Rabelos, die auf dem Hinweg sanft mit der Strömung trieben und zurück getreidelt, also von am Ufer laufenden Tieren oder Menschen per Seil gezogen wurden, eine überaus anstrengende Arbeit. Heutzutage sind die Rabelos durch LKW ihrer ursprünglichen Aufgabe beraubt und liegen als bloße Touristenattraktion vor den Lodges, den weitläufigen Lagerhäusern der Hersteller, die irgendwann von den in Porto ansässigen Handelshäusern übernommen wurden. Deshalb tragen die meisten noch heute hauptsächlich englische Namen wie Grahams und Taylors, niederländische wie Niepoort oder deutsche wie Kopke und Burmester. Hier lagert der Wein entweder noch traditionell in großen Holzgebinden oder deutlich häufiger in Edelstahltanks - mindestens zwei, höchstens aber sechs Jahre. Nach den ersten 24 Monaten nehmen geschulte Gaumen eine Verkostung vor und entscheiden dann anhand der Qualität über das weitere Vorgehen: weniger guter Rebensaft eignet sich nicht für eine lange Reifezeit und wird recht bald in Flaschen abgefüllt. Dies sind die rubinroten, fruchtbetonten Ruby-Ports, die in aller Regel sofort trinkbereit sind. Handelt es sich um besseren Stoff, lagert man ihn von den großen Behältnissen in kleine Fässer, sogenannte „Pipes“ um - hier hat er im Gegensatz zum Ruby-Typ deutlich mehr Luftkontakt, was ihn schneller oxidieren und von karamelligem Schmelz unterlegte Aromen von Nüssen, Gewürzen und Trockenfrüchten annehmen lässt. Dieser Port wird nach der rotbraunen bis goldenen Färbung, in der man früher eine Ähnlichkeit mit Gerberlohe sah, als Tawny bezeichnet. Die Port-Bandbreite reicht von einfachen Varianten für wenige Euro bis hin zu den raren Editionen eines einzelnen Jahrgangs - denn üblicherweise werden verschiedene Jahrgänge miteinander verschnitten. Diese Vintage-Editionen, die man im Schnitt nur jedes dritte bis vierte Jahr herausbringt, weil sie sehr heiße Sommer mit gleichzeitig moderaten Niederschlägen benötigen, können viele Dekaden gelagert werden und entwickeln sich dabei stetig weiter. Ihren Höhepunkt erreichen sie meist erst nach etwa 50 Jahren, was legendäre Füllungen wie 1966 oder 1977 zeigen. Ein so edler Vertreter, der gerade einmal ein Prozent der gesamten Port-Produktion ausmacht, muss es natürlich nicht immer sein: mit dem Colheita bietet sich eine ebenbürtige, aber direkt genussreife Alternative, mit dem Late Bottled Vintage eine nicht ganz so komplexe, dafür aber deutlich günstigere. Nach wie vor genießt man Port gern als Digestif zu kräftigem Käse, in den letzten Jahren haben sich aber auch andere Darreichungsweisen etabliert: ein leichter Rosé-Port kann auch schon vor dem Essen genossen werden und die trockene weiße Version aus Gouveio- und Malvasia-Trauben eignet sich in Kombination mit Tonic Water perfekt als Longdrink.

 

 

Obwohl „nur“ 25 000 Hektar groß, präsentiert sich das Anbaugebiet landschaftlich recht vielfältig, was sich wiederum auf den Charakter des Rebensaftes niederschlägt. Die westlichste der drei Subregionen, Baixo Corgo, beginnt 80 Kilometer von Porto entfernt in der Serra do Marão. Hier macht der Atlantik mit relativ kühlem Seeklima noch seinen Einfluss geltend, weshalb die Weine eher leicht geraten - man spürt deutlich die Nähe zum Gebiet Minho, der Heimat der Vinho Verdes. Im angrenzenden Cima Corgo, dem Herzstück des Douro-Tales, schirmen erste Berge die Reben von den maritimen Einflüssen ab - hier liegt nicht nur das geografische, sondern auch das ökonomische Zentrum Douros, denn zwei Drittel der Gesamtproduktion werden hier geerntet. Gen Osten dann nimmt die Höhe zu und die Vegetation immer mehr ab, aus heiterem Grün wird nach und nach eine karge Wüstenlandschaft von unerwarteter Wildheit: der Alto Douro. Während in den weiter westlich gelegenen Teilen des Tales die Winzer selbst für Ertragsreduktion sorgen müssen, erledigen das hier die nährstoffarmen Böden und die allgegenwärtige Hitze während des Sommers - so entstehen die besten, weil konzentriertesten Weine der gesamten Region. Anders als in vielen anderen Weinbaugebieten ist es hier keineswegs trubelig, viel mehr liegt eine leicht melancholische Ruhe, eine meditative Stille über den malerischen Dörfern. Wenn man auf der Linha do Douro zwischen Peso da Régua und Tua mit dem Dampfzug am Flussufer entlangfährt, fühlt man sich schnell 100 Jahre in der Zeit zurückversetzt. Ohnehin ist Tradition den Portugiesen äußerst wichtig, was sich nach wie vor in der Weinbergs- und Kellerarbeit zeigt: Handlese gilt als obligatorisch, und bis vor einiger Zeit wurden die Trauben wie in grauer Vorzeit noch mit den Füßen in großen Bottichen, den sogenannten Lagares, zerstampft, um den Saft herauszupressen. Der behutsam eingeführte technische Fortschritt trägt dem Rechnung, indem man auf Maschinen setzt, welche die menschlichen Stampfbewegungen imitieren - die „Robotic Lagares“.

 

 

Eine einzigartige Kulturlandschaft mit baulichen Zeugnissen aus zwei Jahrtausenden gibt es zum Wein quasi gratis dazu: Mauerwerk aus der Eisenzeit, römische Brücken, maurische Torbögen, gotische Kirchen und barocke Paläste, alles atmet Geschichte. Von der UNESCO wurde diese Schatzkammer 2001 in die Liste des Welterbes aufgenommen und ist der in Stein gegossene Beweis dafür, wie kosmopolitisch es hier im portugiesischen Norden seit jeher zuging. Auch wenn die Bekanntheit des Portweins eher den Briten zu verdanken ist, die ihn durch ihr riesiges Kolonialreich in Nordamerika, Indien und Australien bekannt machten und damit erst dessen Weltgeltung begründeten - er bleibt in seiner noblen Tiefgründigkeit doch immer ein flüssiger Ausdruck der portugiesischen Seele. So stand in Vila Nova de Gaia Ende des 15. Jahrhunderts wohl schon der dort geborene Ferdinand Magellan am Ufer des Ozeans und blickte gen Westen in den Sonnenuntergang, die „Saudade“ verspürend, jene spezifisch portugiesische Melange aus Fernweh, Sehnsucht und Weltschmerz, die hier jeder kennt, aber keiner so recht in Worte zu fassen vermag. Eines hat man dem ersten Weltumsegler aber voraus, wenn man nach einer Reise durch das Tal des Douro schließlich auf den Atlantik schaut, denn für ein gutes Glas Port war Magellan ein paar Jährchen zu früh auf der Welt.

 

 

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