Wagram

Wagram

Gegründet wurde sie im Stift Klosterneuburg, mit seiner neunhundertjährigen Geschichte eines der ältesten Weingüter des Landes, außerdem das größte private und - bereits seit 2009 - das erste, das klimaneutral wirtschaftet. Beide sind ähnlich legendär, das Klosterweingut und sie, die Höhere Bundeslehranstalt und Bundesamt für Wein- und Obstbau. Der sehr bürokratische Name lässt es schon vermuten: diese Institution untersteht, übrigens als einzige ihrer Art in ganz Österreich, direkt dem Landwirtschaftsministerium. Das wiederum lässt Schlüsse darauf zu, wie wichtig dem Staat die Ausbildung seiner Winzer ist - an der 1860 gegründeten und damit ältesten Weinbauschule der Welt werden etwa 160 Schüler etwa in Kellerwirtschaft, Rebenzüchtung - hier ganz auf der Höhe der Zeit mit Fokus auf sogenannten „PiWis", pilzwiderständigen Sorten, die in bisher als zu kühl erachteten Regionen angebaut werden können -, aber auch Nachhaltigkeit unterrichtet.

 

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Im Detail

Wagram

 

 

Entwickelt wurde hier zum Beispiel die Klosterneuburger Mostwaage, deren Zuckergrade das Pendant zu den in Deutschland genutzten Oechsle-Graden darstellen. Sie ist nicht nur in Österreich verbreitet, sondern aus historischen Gründen nach wie vor in fast allen Regionen des ehemaligen Habsburgerreichs, etwa in Italien, Ungarn, Slowenien und Teilen des Balkans. In der Vergangenheit schoss man mit zu forscher Forschung manchmal allerdings auch über das Ziel hinaus: beim Versuch, mit dem Mehltau eine der großen Plagen der Weinwelt zu bekämpfen, holte man sich unbeabsichtigt eine noch viel größere ins Land: auf den Rebstöcken, die man aus akademischen Zwecken aus der Neuen Welt importierte, hatte sich die Reblaus niedergelassen und verbreitete sich nun von Klosterneuburg aus in ganz Europa. Der Direktor musste unter Polizeischutz gestellt werden, so erzürnt waren die Weinbauern der Umgebung über die Vernichtung ihrer Ernten. Wenige Jahre später entdeckte derselbe allerdings auch, dass sich die Kombination aus robusten amerikanischen Unterlagen und aufgepfropften heimischen Edelreisern als ausreichend widerständig erwies.

Einige Jahrzehnte später, 1921, kreuzte ein gewisser Fritz Zweigelt aus den beiden alten österreichischen Sorten St. Laurent und Blaufränkisch eine neue Traube, die sich ab der Nachkriegszeit langsam aber sicher zur führenden Rotweinrebe Österreichs mausern sollte, auch wenn sie am Ort ihrer Entstehung ironischerweise nur auf 15 Prozent der Fläche kultiviert wird. Die Gründe für ihren Aufstieg lagen einerseits in ihrer besonderen Eignung für die Erziehung in Hochkultur, mit der Lenz Moser Anfang der 50er den Weinbau revolutioniert hatte, andererseits in der Anspruchslosigkeit in Bezug auf die Böden. Moser war es auch, der der Rebe zum eingängigen Namen ihres Züchters verhalf, nachdem sie lange Zeit nur als das Kreuzungsprodukt ihrer Elternreben etikettiert worden war. Ob der Zweigelt Zweigelt bleiben darf, war in Österreich vor einiger Zeit Gegenstand einer heftigen Debatte: weil der Namensgeber als überzeugter Nationalsozialist galt, gab es alle möglichen Vorschläge für eine Umbenennung, von durchaus ernst gemeinten wie „Österreich Blau“ bis hin zum augenzwinkernden „Blauen Montag“. Der schon länger existierende Alternativname „Rotburger“, welcher mit „Blauburger“ und „Goldburger“ den schön aufeinander abgestimmten Dreiklang der wichtigsten Züchtungen Zweigelts bildet, wurde ebenfalls in Betracht gezogen, angesichts der Erfolglosigkeit der beiden anderen Rebsorten aber verworfen. Mittlerweile hat sich die Affäre etwas abgekühlt, der allergrößte Teil der Winzerschaft hat aus Marketinggründen den Namen „Zweigelt“ beibehalten, lediglich der Dr. Fritz Zweigelt-Preis für verdiente Weingüter wurde 2016 eingestampft.

Anders als in den Gebieten rund um Krems ist am Wagram sowohl das Klima als auch das Bodenprofil von einer mustergültigen Einheitlichkeit. Klimatisch ist er ganz und gar den Luftströmen der Pannonischen Tiefebene hingegeben, die, ungehindert durch größere Erhebungen in der Landschaft, am Tag sehr warme Winde hertragen, die Nächte aber sehr kalt werden lassen. Das mag der Grüne Veltliner gern, mit einem Anteil von zwei Dritteln die Leitrebe der Region, die hier einen anderen Charakter entwickelt als auf den mineralischen Urgesteinsböden, die weiter im Nordwesten vorherrschen: er gerät weniger schlank, legt sich stattdessen eine gewisse Schmelzigkeit zu und weiß so in Kombination mit einer saftigen, eher gelben als grünen Frucht auch diejenigen zu überzeugen, denen ein Wachauer Veltliner zu knackig-karg daherkommt. Zu verdanken ist das der meterdicken Lössschicht, die sowohl Wärme als auch insbesondere Wasser hervorragend speichern kann und damit die in ihr wurzelnden Reben während der heißen Sommer der letzten Jahre gut versorgte. Ob die Vorherrschaft der weißen Sorten allerdings auf Dauer anhalten wird, ist fraglich. Wäre es nicht so, müsste man sich gewiss umstellen: als Riedenweine, also höchste Qualitätsstufe, sind aktuell nur Riesling, Grüner Veltliner und Roter Veltliner zugelassen. Letzterer ist trotz seines Namens ein Weißwein, und eine Spezialität der Region noch dazu. Allerdings bedarf er einer radikalen sogenannten Grünlese, also des Wegschneidens eines großen Teils noch unreifer Trauben, um zu ausreichend geschmacklichem Ausdruck zu finden. Verfärben sich die Schalen der Weinbeeren rötlich (daher stammt sein Name), hat man alles richtig gemacht, dann gerät der Wein feinwürzig und hält sich viele Jahre. Die anstrengende notwendige Handarbeit hat ihn von der ehemals verbreitetsten Rebsorte der Region zu einer Liebhabertraube herabsinken lassen, die in ganz Österreich nur noch 200 Hektar beanspruchen darf, was aber manche Winzer wie etwa Josef Fritz aus Zaußenberg nicht davon abgehalten hat, den Roten Veltliner zu seiner Leitrebe zu machen. Aufgrund seiner Toleranz auch für glühende Hitze wird aus ihm vielleicht doch noch eine Traube der Zukunft. Ebenso fit für klimatische Veränderungen ist seit jeher der Gemischte Satz, eine Besonderheit des Wiener Raumes, bei der verschiedene Rebsorten - mit entsprechend verschiedenen Resistenzen gegen Umwelteinflüsse - in einem gemeinsamen Weingarten angebaut und auch zusammen eingemaischt werden - in früheren Jahrhunderten, als man noch nicht über eine klare Ampelographie verfügte, der Standard im Weinbau. Franz Leth aus Fels am Wagram treibt es damit richtig auf die Spitze und hält wahrscheinlich den geheimen Weltrekord für die meisten Rebsorten in einem Wein: 200 unterschiedliche Trauben, von denen sich jeweils nur einige Stöcke im Versuchsweingarten des Gutes befinden, haben ihren Saft zu diesem Gemischten Satz der Extraklasse beigesteuert. Und auch Süßweine, insbesondere Eisweine von erlesener Qualität gewinnen von Jahr zu Jahr an Bedeutung, auch wenn sie (noch) nicht den Gebietsnamen tragen dürfen, sondern sich mit einem schlichten „Niederösterreich“ begnügen müssen.

 

Will man von Wien aus einen Abstecher in ein Weinbaugebiet der Umgebung machen, bietet sich der Wagram, der bis 2007 noch Donauland hieß, besonders an: nicht so überlaufen wie die Wachau, dazu mit einer sehr sanften Landschaft, die ohne große Mühen durchwandert werden kann. Folgt man der langgestreckten Erhebung, mag man gar nicht glauben, dass hier „nur“ 2500 Hektar bewirtschaftet werden, denn der glücklicherweise nach Süden ausgerichtete, bis zu 20 Meter hohe Hang ist über und über mit Reben bepflanzt - auch wenn besonders kleinere Winzer dem Kostendruck, den die Bewirtschaftung des an vielen Stellen für Maschinen unzugänglichen Wagrams erzeugt, nicht standhalten konnten und aufgaben. Geologisch betrachtet handelt es sich bei ihm um eine 30 Kilometer lange Geländestufe, die sich auf einem Urgesteinssockel durch die Ablagerung vom Wind hergetragener feiner Sedimente aus Sand, Kalk und Lehm am Ufer des Urmeeres bildete. Alt ist sein aus dem Mittelhochdeutschen stammender Name, bestehend aus den Begriffen „wac", der mit Welle oder Woge zu übersetzen ist und dem auch heute noch geläufigen „rain“, einen Hang bezeichnend. Nicht nur äußerlich macht man ihn sich zur Nutze, in ihn hinein grub man seit jeher auch Keller für Weinbereitung und -lagerung, ja darüber hinaus ganze unterirdische Gangsysteme, sogenannte Erdställe, deren vermutete Funktionen unter Archäologen kontrovers diskutiert werden und von Zufluchtsorten bei feindlichen Angriffen bis zu heidnischen und frühchristlichen Kultstätten reichen. Mit dem „Lössfrühling am Wagram“ setzt die Region seit einigen Jahren ihrem Boden an ganzen vier Wochenenden ein Denkmal, bei dem der Rebensaft natürlich auch nicht zu kurz kommt: 100 Winzer laden zur Verkostung von insgesamt 1200 Weinen.

Die Donau durchfließt das Weinbaugebiet in der Mitte von Westen nach Osten und trennt es so in einen nördlichen Teil mit dem eigentlichen Wagram und einen südlichen mit dem beschaulichen Tullnerfeld, das eher mit gröberen Schotterböden aufwartet und im Osten bei Klosterneuburg bis vor die Wiener Stadtgrenze reicht. Im Tullnerfeld münden viele Flüsse in die Donau, die ihrerseits namensgebend für andere Weinbaugebiete in der Nähe sind, etwa die Traisen, die Krems oder der Kamp. Die Winzer sind sehr gastfreundlich hier, auch weil man weiß, dass der Besuch weinbegeisterter Touristen nicht selbstverständlich ist. Bis vor etwa 20 Jahren hatte kein Kenner Wagramer Weine auf dem Schirm, der Landstrich zwischen den beiden großen Namen Wachau und Wien galt weintechnisch als Niemandsland ohne eigenen Charakter. Es waren Winzer wie Karl Fritsch oder Bernhard Ott, die konsequent auf Biodynamie und damit einhergehende Handarbeit setzten und dem unter Übervermarktung leidenden Wagramer Wein endlich ein eigenes Gesicht schenkten. Die Vereinigung „respekt-BIODYN“, die von beiden maßgeblich mitangestoßen wurde, vereint mittlerweile einige der interessantesten Winzer im deutschsprachigen Raum wie Heinrich, Claus Preisinger, Clemens Busch oder Wittmann. Zudem erkannte man in der steigenden Nachfrage nach Pet Nat und Orange-Weinen früh einen der großen Trends der Zukunft und ist darin neben dem Neusiedlersee auch jetzt österreichweit noch führend.

 

Die einen kehren also zur Ursprünglichkeit zurück, die anderen haben sie nie verlassen. Viele Heurige hier verdienen noch ihren Namen, haben tatsächlich nur wenige Wochen im Jahr geöffnet und wenig gemein mit den großen Wiener Lokalen, die nurmehr gewöhnliche Restaurants im Heurigenstil sind. In Großriedenthal kann man im „Museum der einfachen Dinge“ den Alltag einer bäuerlichen Gemeinschaft in der Frühen Neuzeit nachempfinden, und in Grafenwörth hat sich mit der Fass- und Bottichmanufaktur Benninger eine der ganz wenigen Betriebe Mitteleuropas erhalten, die noch jene Behältnisse herstellen, die bis zur Etablierung der Flasche unverzichtbar für die Aufbewahrung des Rebensaftes waren und auch heute für den Barrique-Ausbau noch nachgefragt werden. Und selbst im Obstbau behaupten sich alte Kulturen gegen intensive Landwirtschaft: wie die Wachau für ihre Marille ist der Wagram bekannt für seine Walnüsse. Die „Wagramer Nuss“ findet sich im Register der traditionellen österreichischen Lebensmittel, mit dem das Landwirtschaftsministerium diesen den Status von bewahrenswerten Kulturgütern zugesteht. Eingeführt bereits durch die Römer, werden die Bäume bis heute liebevoll gepflegt und zu den unterschiedlichsten Leckereien, besonders den in Österreich seit jeher beliebten Mehlspeisen, verarbeitet und entfalten so in Palatschinken, Strudel, Buchteln oder Torten ihr Aroma. Weinliebhabern dürfte die Walnuss aber vor allem als Bestandteil des Nussbrotes begeben, das von vielen Winzern während der Weinprobe gereicht wird oder beim Restaurantbesuch die Speisenfolge einläutet.

Der Wagram - ein Weinbaugebiet der leisen Töne, das behutsam seiner ganz eigenen Zukunft zustrebt. Zwischen neuen Wegen in Klosterneuburg und alten Pfaden im Löss entspinnt sich ein feines Netz, in dem sich der aufgeschlossene Weintrinker nur allzu leicht verfangen kann! Text: Dario Sellmeier

 

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