Kremstal
Kremstal … achja, wie die Stadt! Die Assoziation ist naheliegend, wenn auch nicht ganz korrekt. Denn das niederösterreichische Weinbaugebiet verdankt seinen Namen nicht dem Ort, sondern dem Fluss Krems, einem 80 Kilometerlanger Zufluss der Donau. Obwohl das Gebiet in seiner Mittellage zwischen Wachau und Kamptal mit 2300 Hektar relativ klein ist, erweist es sich als äußerst vielfältig, und das auf engstem Raum, denn von Nord nach Süd beträgt die Ausdehnung nur 15 Kilometer, von West nach Ost gerade einmal zehn. Zentrum ist das quirlige Krems mit seiner Fülle an historischen Gebäuden, seiner Universität, seinen Kunstmuseen, seiner Gastronomie und der dort sinnigerweise eingerichteten Weinbauschule. Die Stadt, die sich selbst gern als österreichische Weißweinhauptstadt vermarktet, wird zwar landläufig oft der Wachau zugerechnet, diese beginnt aber erst westlich davon. In Zeiten noch nicht so eindeutiger Weingesetzgebung sorgte das oft für Ärger bei den sehr eigenen Wachauer Winzern, die es gar nicht gern hatten, dass Wein aus Krems unter dem Begriff „Wachau“ vermarktet wurde.
Im Detail
Kremstal
Dass Krems das Potential des in seiner Umgebung wachsenden Weines sehr genau einzuschätzen vermag, belegt die Tatsache, dass die Stadt sich schon seit fast 600 Jahren ein eigenes Weingut hält. Hinzu kommt mit den „Winzern Krems“ eine der größten Genossenschaften des Landes mit knapp 1000 Mitgliedern. Sie steht in der Tradition der schon 1447 gegründeten „Hauerinnung St. Paul“ - Weinhauer ist der alte österreichische Begriff für Winzer. Drei Viertel der Bürger bestritten im Spätmittelalter ihren Lebensunterhalt mit dem Weinbau, und mehrmals mussten sie durch Verordnungen daran gehindert werden, alle möglichen landwirtschaftlichen Flächen mit Rebstöcken zu bepflanzen und so ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gefährden. Besonders die Namen der berühmten Rieden rund um den westlichen Stadtteil Stein vermitteln noch immer ein anschauliches, oft humorvolles Bild des früheren Alltagslebens einer Region, in der die Menschen seit jeher Sagen und Anekdoten lieben. Wie etwa die vom Bauern, der während einer der häufigen Hungersnöte schweren Herzens seinen geliebten Hofhund verkaufen musste und dem treuen Tier im „Steiner Hund“ ein Denkmal für die Ewigkeit setzte. Etwas derber leitet sich der „Steiner Schreck“ her: damals standen die Rebstöcke sehr dicht, sodass man nicht ins Innere der Anpflanzungen schauen konnte. Um dennoch wirkungsvoll den Diebstahl von Trauben kurz vor Lesebeginn zu verhindern, schrie der Türmer der gegenüberliegenden Kirche von Zeit zu Zeit anlasslos herum, was etwaige Langfinger vertrieb, die er gar nicht hatte sehen können. Auch der „Piri“ erfreut sich dank seines putzigen Namens bei Touristen großer Beliebtheit, allerdings hat er nichts mit der scharfen portugiesischen Soße zu tun, sondern ist schlicht der aus dem Ungarischen stammende Begriff für etwas sehr Altes, hier also einen schon sehr lang genutzten Weinberg.
Das Gebiet um die Stadt herum ist wie die Wachau geprägt von den südlichen Ausläufern der Böhmischen Masse, die als Österreichisches Gneis- und Granithochland vor allem Rieslinge mit der Mineralik von verwitterten Urgesteinböden versorgen, auch wenn die terrassierten Hänge meist nicht ganz so steil sind wie einige Kilometer weiter westlich. Der Riesling ist wie in den benachbarten Gebieten auch eine der beiden Leitsorten, an deren außergewöhnliche Qualität die geringen Bestände Muskateller, Müller-Thurgau und diverser Burgunder nicht heranreichen. Die andere ist - natürlich - der Grüne Veltliner, der sich eher auf den kalkreichen Lössterrassen östlich von Krems in Richtung Gedersdorf wohl fühlt, die Wasser für längere Zeit speichern können und ihn so mit der Feuchtigkeit versorgen, die er zur Ausbildung seines berühmten „Pfefferls“ benötigt, das ihm mit seiner prickligen Würzigkeit einen interessanten Kontrast zur zitrischen Säure verleiht. Die beiden sind denn nach DAC-Regeln auch die einzigen Rebsorten, auf deren Etiketten explizit „Kremstal“ ausgewiesen werden darf, alle anderen müssen sich mit einem allgemeineren „Niederösterreich“ begnügen.
Gegenüber thront das 1000 Jahre alte Benediktinerstift Göttweig über der Landschaft, nach einem Brand Anfang des 18. Jahrhunderts in ein wahres Wunderwerk des Barock verwandelt, auf dessen Restaurant-Terrasse man einen herrlichen Blick über das Donautal genießt. Das Kloster, ja überhaupt alle der über 50 Klöster, die im Laufe der Geschichte Besitzungen im Kremstal hatten, waren seit jeher verlässliche Abnehmer für Wein, den man für die Zelebration des Messopfers benötigte. Um nicht nur auf Zukauf angewiesen zu sein, betätigen die Mönche sich schon lange selbst im Weinbau, der neben der Forstwirtschaft zur tragenden wirtschaftlichen Säule des Klosterbetriebes wurde - auch wenn die Weinberge mittlerweile verpachtet sind, damit sich die noch knapp 40 Brüder der Seelsorge widmen können. Aktuell stellt der Bezug von dem kirchlichen Reinheitsgebot genügenden Tropfen kein Problem dar, alle Prädikatsweine im deutschsprachigen Raum erfüllen die Anforderungen der Naturbelassenheit. Das war damals, als zudem ausschließlich Rotwein für die Eucharistie verwendet werden durfte, ganz anders: die künstliche Süßung, schönende Färbung und der Zusatz von allerhand Kräutern und Gewürzen stellte die Regel dar - gut also, dass man seit jeher auf eigene Weinberge zurückgreifen konnte. Heute keltert man Messwein auch für den Handel, dessen Erzeugung allerdings nach wie vor vom Bischof ausdrücklich genehmigt werden muss.
Hier südlich der Donau mit den Weinbaugemeinden Furth und Göttweig dominieren Donauschotter und Lehm, auf denen sich der genügsame Zweigelt als hektarreichster Botschafter Kremstaler Rotweins wohlfühlt. Der Einfluss der mollig-warmen Luftmassen aus der in Ungarn liegenden pannonischen Tiefebene ist hier stärker zu spüren und die kühlen Einflüsse aus dem nördlichen, höher gelegenen Waldviertel machen sich nicht so sehr bemerkbar wie auf der anderen Seite des Flusses. Dieser sorgt ohnehin für einen sanften Ausgleich im für heiße Tage und kalte Nächte bekannten Gebiet und ermöglicht auch anspruchsvolleren Rotweinreben wie Spätburgunder oder St. Laurent Wachstum. Einige Winzer halten noch den traditionsreichen Roten Veltliner hoch - trotz seines Namens ist er eine Weißweinrebe und nicht mit dem Grünen Veltliner verwandt -, obwohl er eine ziemliche Diva unter den Rebsorten ist und sehr viel Zuwendung erfordert: schneidet man den Massenträger nicht radikal zurück, gerät der Wein später flach und gesichtslos. Überdies bereitet seine Anfälligkeit für diverse Krankheiten und seine hohe Frostempfindlichkeit den Winzern Kopfzerbrechen. Findet man allerdings einen geeigneten Standort und lässt ihm genug Pflege angedeihen, wird man mit einer außergewöhnlichen Spezialität entschädigt, die mit pikanter Würze und sehr langer Lagerfähigkeit zu überraschen weiß. Als Elternteil der ebenfalls autochthonen Trauben Rotgipfler, Neuburger und Zierfandler ist er im wahrten Sinne des Wortes tief verwurzelt in Niederösterreich.
Das sind auch die vielen kleinen Heurigenbetriebe, die dazu einladen, in rustikaler Atmosphäre bei einem Spritzer zu verweilen und setzen so einen urigen Kontrapunkt zu den feinen Vinotheken in der Kremser Altstadt. Das beständige Nebeneinander von traditionell und modern, von bewährt und experimentell macht wesentlich den Reiz des Kremstals aus: alte Familienweingüter existieren neben umtriebigen Jungwinzern, die sich an Cool Climate und biodynamischem Weinbau versuchen, der durch die frischen Winde aus dem Norden begünstigt wird. Sie trocknen auf natürliche Weise die Trauben und lassen sie so weniger anfällig für Krankheiten werden, wodurch wiederum auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verzichtet werden kann.
Aus der kleinen Gemeinde Rohrendorf bei Krems stammt ein gewisser Lorenz Moser, der vielen vor allem als Namensgeber der Weinkellerei Lenz Moser bekannt sein dürfte, deren Erzeugnisse man in Österreich in jedem Supermarkt kaufen kann. Deutlich interessanter als diese Weine sind allerdings Prof. Dr. h.c. Mosers Beiträge zur Entwicklung des Weinbaus allgemein: mit seiner Überzeugung, der Weinberg habe sich den Maschinen anzupassen und nicht umgekehrt, ebnete er der Mechanisierung des jahrtausendelang auf reiner Handarbeit basierenden Zweiges der Landwirtschaft den Weg. Moser war aufgewachsen mit der seit ewigen Zeiten etablierten Stockkultur, bei der jede Rebe für sich an einem Stecken hochgezogen wurde. Dieses System, bei dem auf jeden Quadratmeter eine Pflanze kam, hatte viele Nachteile: die Reben bekamen wenig Sonnenlicht ab, standen sehr eng, was es unmöglich machte, sie mit größerem Gerät zu bewirtschaften, und sie waren in der Regel kaum mehr als hüfthoch, wodurch Pflege und Lese hohe körperliche Anstrengung erforderten. Überdies begünstigte die Nähe zum Erdboden und die der Enge geschuldete schlechte Belüftung die Anfälligkeit für Schädlinge und Krankheiten. Moser setzte dem die Hochkultur entgegen: er zog die Rebstöcke auf in Reihe gespannten Drähten auf knapp anderthalb Meter hoch, zwischen den Reihen ließ er ausreichend Raum für Fuhrwerke. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Helfer in der Landwirtschaft knapp waren, eine willkommene Erleichterung. Wie bei allen Neuerungen brauchte es aber ein einschneidendes Ereignis, um die vielen Skeptiker zu überzeugen. Das kam in Gestalt eines klirrend kalten Winters Mitte der 50er: die allermeisten Reben in Stockkultur erfroren elendig, während jene in Hochkultur zum Großteil überlebten. Die neue Anbautechnik, die jedem Rebstock nun drei und mehr Quadratmeter Platz zubilligte, verbreitete sich daraufhin schnell und wurde - außer in Steillagen, die ohnehin nicht mit Maschinen bearbeitet werden können, wie an manchen Bereichen der Mosel - nach und nach zum Standard. Jenem eisigen Winter ist übrigens auch die heutige Vorherrschaft des Veltliners und des Zweigelts sowohl im Kremstal als auch in ganz Österreich zu verdanken, denn beide erwiesen sich als sehr frostresistent und überdies hervorragend für den Anbau in der neuen „Lenz Moser Erziehung“ geeignet.
Das Kremstal ist mitnichten die langweilige kleine Schwester im stetigen Schatten der Wachau, auch wenn deren Winzer das die Kundschaft manchmal gern denken lassen würden. Hier kann man noch wahre Entdeckungen machen, die den Wachauer Weinen gerade in Sachen Reifepotential in nichts nachstehen. Ihren eigenen Charakter - filigran, würzig, konzentriert - behaupten sie wacker, und sind dabei oft auch ein wenig preisgünstiger als ihre Verwandten aus dem bekannteren Gebiet im Westen. Aber nun Schluss mit den ständigen Vergleichen, das haben die Kremstaler Weine ja gar nicht nötig!