Carnuntum
Carnuntum - ein durchaus bemerkenswerter Name für ein österreichisches Weinbaugebiet, mutet er doch ziemlich nach römischer Antike an. Genau dorther stammt er auch, genauer gesagt von einer Doppelsiedlung der Römer, die hier den Pannonischen Limes nach Norden absicherten - dass Name und wahrscheinlich auch Weinbau eigentlich von den Kelten übernommen wurden, sei mal dahingestellt. Zu Hochzeiten lebten in Militärlager und Zivilstadt 50 000 Menschen - für damalige Verhältnisse eine Großstadt, begünstigt vor allem durch die Lage an der Bernsteinstraße, der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung nördlich der Alpen. Kurz nach der Zeitenwende eigentlich nur als Winterlager für die Truppen gedacht, erkannte man schnell die Vorzüge der Lage direkt am Donaulimes und ließ sich langfristig nieder. Sogar ein Amphitheater mit Platz für 13 000 Menschen hat es gegeben, direkt nebenan eine Gladiatorenschule, Tempel und Thermen. Der Philosophenkaiser Marc Aurel startete von hier aus seine Feldzüge gegen die aufmüpfigen Markomannen, ergo war Carnuntum wenige Jahre Residenzstadt, und mit der Kaiserkonferenz der vier Tetrarchen schrieb man erneut Weltgeschichte. Im fünften Jahrhundert gab man infolge eines gewaltigen Erdbebens die Stadt wie auch die gesamte Provinz Pannonien schließlich auf, die Überbleibsel wurden durch die einströmenden Germanen zerstört oder nach und nach für andere Zwecke abgetragen.
Im Detail
Carnuntum
Die Römersiedlung ist damit zur Marke einer Region geworden, was sich an der Namensgebung der „Carnuntum Legionaries“, eines lokalen Footballteams, genauso zeigt wie in der Errichtung eines eigenen römischen Stadtviertels in der kleinen Gemeinde Petronell-Carnuntum, Der Fund antiker Rebmesser zeugt von den gigantischen Dimensionen, die der Weinbau bei den Römern hatte: allein 12 000 Liter täglich mussten als Teil des Solds für die Soldaten vorgehalten werden, hinzu kommt, da Wein als absolutes Grundnahrungsmittel galt, der Verbrauch der Zivilisten, sodass man von einer Jahresproduktion von mindestens acht bis zehn Millionen Litern ausgehen kann - enorm viel, hält man sich vor Augen, dass im heutigen Carnuntum insgesamt „nur noch“ 4,5 Millionen Liter pro Jahr erzeugt werden. Allerdings war reiner Genuss nur ein Aspekt des Konsums - meist mischte man Wein in Wasser, um dieses durch den Alkohol einigermaßen keimfrei zu bekommen. Winzer war damals kein eigentlicher Beruf, sondern wurde in der Regel von Veteranen betrieben, denen man nach ihrem Dienst im Heer kleine auf dem Land gelegene Güter zur Verfügung stellte, mit denen sie sich selbst und ihre Umgebung versorgen sollten. Sehr viele von ihnen verlegten sich dabei auf den Weinbau, den damals einträglichsten Zweig der Landwirtschaft. Obwohl man an der Donau über einen großen Hafen verfügte, wird Rebensaft aus dieser Region aber wohl kaum bis nach Rom gelangt sein - die sauren Weine aus dem Norden schätze man dort überhaupt nicht. Und auch lange Zeit später hatten sie es noch schwer: im 19. Jahrhundert wurden hier eher „Ungarweine“ wie Tokajer und Traminer transportiert und gehandelt, als dass die eigenen Gewächse reißenden Absatz fanden. Hauptberuflich Winzer zu sein, das können sich die meisten in Carnuntum erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit leisten - vorher war man zusätzlich auf Ackerbau und Viehhaltung angewiesen, um ein Auskommen zu haben. Auch, weil früher die eisigen Winter mit ihren Spätfrösten ein ums andere Mal die Trauben erheblich dezimierten - insofern steht man den klimatischen Veränderungen der jüngeren Zeit nicht nur skeptisch gegenüber.
Mit aktuell knapp über 900 Hektar gehört Carnuntum sozusagen zu den Größeren unter den Kleinen in Österreich; über die Jahrzehnte ist die Fläche massiv zusammengeschrumpft, was sich auf die Qualität aber förderlich auswirkte. Erst seit 1993 darf man sich hier als eigenständiges Gebiet vermarkten, vorher bildete man zusammen mit dem Wagram das Gebiet Donauland-Carnuntum, was keinem der beiden wirklich gerecht wurde. Die Rebsortenpalette ist außergewöhnlich reichhaltig, was wahrscheinlich auch an seiner Lage inmitten anderer honoriger Weinbaugebiete liegt: im Norden grenzt Carnuntum an das große Weinviertel, im Nordwesten an Wien, im Westen an die Themenregion und im Süden an Leithaberg und Neusiedlersee im Burgenland. Platzhirsch ist wie sonst in Niederösterreich auch der Grüne Veltliner, dessen Wurzeln in fetten lehmigen Böden das benötigte Wasserreservoir finden. Aber auch Burgunder erreichen beachtliche Qualitäten, Weißburgunder und Chardonnay sind sogar neben dem Veltliner zur Auszeichnung als Riedenwein, der höchsten Kategorie, zugelassen und gedeihen am besten auf den Böden aus Leithakalk im Osten. Andere Reben wie die gefälligeren Welschriesling und Gemischter Satz und auch der Gelbe Muskateller dürfen zwar statt „Carnuntum“ lediglich „Niederösterreich“ auf dem Etikett tragen, eignen sich mit ihrer verhaltenen Säure aber ebenso gut als Speisenbegleiter - in den urigen Buschenschankbetrieben der Region mit ihren fleischlastigen österreichischen Spezialitäten, aber auch zum Gemüse, für deren Anbau das nahe Marchfeld bekannt ist, insbesondere Spargel, Kraut und Schnittbohnen.
Den warmen Luftströmen aus der Pannonischen Tiefebene ist es ebenso wie den mäßigenden Einflüssen der nördlich gelegenen Donau und des Neusiedlersees zu verdanken, dass sich auch eher in südlichen Gefilden beheimatete Rebsorten wie Merlot und Cabernet Sauvignon wohlfühlen.
Auch wenn die Hauptorte des Weinbaus Prellenkirchen, Göttlesbrunn und Höflein wohl (noch) nicht als die touristischen Hochburgen gelten können, hat sich Carnuntum zu einem leisen, aber einflussreichen Mitbewerber gemausert, der sowohl mit der Nähe zu den beiden Metropolen Wien und Bratislava punktet - die Gemeinde Schwechat, die den Wiener Flughafen beherbergt, bildet den westlichsten Teil Carnuntums -, als auch mit dem Archäologischen Park und den sechs Marchfeldschlössern. Die meist barocken Bauten fungierten in der Vergangenheit bedingt durch ihre Lage in der „Kornkammer Österreichs“ oft als landwirtschaftliche Verwaltungszentren und beherbergten berühmte Vorbesitzer wie Prinz Eugen von Savoyen oder den letzten Kaiser Karl nach seiner Abdankung. Mit Blick auf seine sanft gewellten grünen Hügellandschaft, gebildet aus Leithagebirge, Hainburger Bergen und Arbesthaler Hügelland mag man manchmal gar nicht recht glauben, dass die Weinberge hier auf nicht mehr als 200 Meter Höhe liegen.
Der Aufstieg der mittlerweile tonangebenden Rotweine begann in den 80ern. Angeregt durch einen putzigen bunten Vogel, der zufällig in den Weinbergen umherschwirrte, kreierte Hans Pitnauer mit seinem heute legendären „Bienenfresser“ einen Zweigelt - damals eine noch kaum etablierte und skeptisch beäugte Rebsorte -, der sowohl in seiner tiefdunkeln Farbe wie in seinem kräftig-intensiven, würzigen Aroma ein absolutes Novum war. Um dem Roten der Region aber auch in der Breite einen Schub zu geben, entschlossen sich zwei Dutzend Winzer Anfang der 90er, die Marke „Rubin Carnuntum“ ins Leben zu rufen. Unter diesem Label vermarktet man einen Zweigelt mit mindestens 12,5 Volumenprozent, der in besonderer Weise gebietstypisch sein soll, dazu mit einer ganz leichten Holznote vom Ausbau im Fass, welcher der manchmal etwas blassen Rebsorte Charakter verleiht. Bekannte Weingüter wie Grassl oder Markowitsch haben ebenso einen im Programm wie auch viele kleinere, denen der Rubin überhaupt erstmal die Möglichkeit gab, Zugang zu einer breiteren Öffentlichkeit zu finden. Erkennbar ist der mit einem Preis von um die zehn Euro attraktive Einstiegswein an der Abbildung des Heidentors auf der Flasche, eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse der historischen Stadt Carnuntum und Symbol für das römische Erbe Österreichs schlechthin. 2018 traten die Rubin-Winzer der Vereinigung Österreichische Traditionsweingüter bei, die sich, 1991 gegründet, ähnlich wie der deutsche VDP zum Ziel gesetzt hat, die jeweiligen Besonderheiten von Boden, Klima und Rebsorte im Endprodukt erfahrbar zu machen. Mittlerweile ist Carnuntum die mitgliederstärkste Regionalgruppe der ÖTW - und darüber hinaus dank der Offensive um den Rubin das einzige Gebiet Niederösterreichs, in dem mehr rote als weiße Trauben geerntet werden. Eine beachtliche Entwicklung vor dem Hintergrund, dass man um die vorletzte Jahrhundertwende nahezu ausschließlich Weißwein anbaute, darunter viele, die heute in der Region gar keine Rolle mehr spielen, wie Silvaner oder Österreichisch Weiß - ein Beweis für die Anpassungsfähigkeit der Carnuntumer Winzer.
Und ihren Wagemut. Denn keck haben sie beschlossen, den Blaufränkisch nicht dem Burgenland zu überlassen, sondern wenige Kilometer vor dessen Grenze am Spitzerberg ein kleines Mekka dieser Rebsorte errichtet. Die Erhebung - denn mehr ist es mit 300 Metern nicht, obwohl das in der flachen Pannonischen Tiefebene schon als ziemliche Landmarke heraussticht - gilt bereits als Ausläufer der Kleinen Karpaten und unterscheidet sich von den sonst vorherrschenden recht flachen Weinbergen mit Kalkmergel- und Kieselböden an Donau und Leitha durch ihre Steilheit wie auch den Untergrund aus Granitgneis und Glimmerschiefer. Die Trauben treiben hier früh aus und erreichen ihre Reife durch Sommertemperaturen von bis zu 40 Grad rund vier Wochen früher als noch vor einigen Dekaden - Entwicklungen wie diese sind Thema des Austausches, der von den regionalen Winzern seit jeher gepflegt wird. Da man jahrzehntelang eher im Schatten existierte, hat sich eine ausgeprägte Kameradschaftlichkeit gebildet; auch die bekannteren Betriebe sind frei von Starallüren und greifen Kollegen bei Problemen wie selbstverständlich unter die Arme. Die Einstellung, entweder gemeinsam erfolgreich sein zu können oder gar nicht, ist offensichtlich die richtige. Auch wenn Carnuntum nur zwei Prozent der österreichischen Gesamtfläche einnimmt, ist seine Präsenz besonders in der Gastronomie beachtlich: kaum ein besseres Wiener Lokal kommt ohne Wein aus Carnuntum auf der Karte aus. Die direkte Nachbarschaft zur Hauptstadt ist für den Absatz natürlich förderlich, aber sie ist es nicht allein. Viel eher liegt es daran, dass man die wohl interessantesten Rotweine Niederösterreichs und darüber hinaus eine enorm vielfältige Weißweinlandschaft im Portfolio hat.
Das haben viele Konsumenten zwar immer noch nicht auf dem Schirm, aber man ist zuversichtlich geduldig. In einem Gebiet, das den Glykolwein-Skandal der 80er vor allem deswegen so unbeschadet überstanden hat, weil man selbst zum Betrügen damals zu unbekannt war, ticken die Uhren eh etwas anders. Man lehnt sich entspannt zurück angesichts von weit über 2000 Jahren Weinbaugeschichte, die sich hier nachempfinden lassen wie sonst kaum irgendwo in Mitteleuropa und lächelt im Wissen, die besten Zeiten mit Sicherheit noch vor sich zu haben.