Burgenland
Was, diese flache, überaus windige Region ist noch Österreich? Allerdings, wenn auch noch nicht so lange. Bis nach dem Ersten Weltkrieg gehörte das Burgenland, oder, wie es damals noch hieß, Deutsch-Westungarn, gar nicht zu Österreich, sondern zum anderen Teil der Doppelmonarchie. Gerade einmal knapp 300 000 Menschen leben hier, was die Gegend nach wie vor sehr landwirtschaftlich geprägt daherkommen lässt - strukturschwach wäre der völlig falsche Begriff, denn gerade im Weinbau ist hier seit Jahrhunderten Struktur vorhanden, und was für eine!
Im Detail
Burgenland
Herz des Burgenlandes ist der Neusiedlersee, auch „Meer der Wiener“ genannt, weil die Hauptstädter aufgrund der geringen Entfernung gern einen Kurzurlaub hier verbringen. Nördlich und östlich dieses riesigen, sehr flachen Steppensees erstreckt sich das gleichnamige, mit Abstand größte der burgenländischen Weinbaugebiete, derer es sechs gibt, ein Drittel der österreichischen Gesamtanzahl, aber mit 12 000 Hektar nur ein Viertel der Gesamtfläche. 2000 Sonnenstunden im Jahr und sommerliche Durchschnittstemperaturen von 21 Grad bringen es mit sich, dass sich die Flächen in Seenähe besonders für eines eignen: den Anbau kräftiger Rotweine. Am besten gedeiht hier der Blaue Zweigelt, der österreichische Rotwein schlechthin. Obwohl erst 100 Jahre alt, hat er sich schnell behaupten können, da er kaum Ansprüche an den Boden stellt, was am Neusiedlersee mit seinen recht kargen, nur hin und wieder von einer dünnen Lehmauflage bedeckten Schotterböden ein großer Vorteil ist. Was ihm die Böden vorenthalten, gibt ihm das Klima: der heiße Nordwestwind aus der pannonischen Tiefebene, der umgangssprachlichen Puszta, lässt ihn seine kirschige Fruchtigkeit entfalten, die sich um ein filigranes Säuregerüst schlängelt. Charakteristisch ist oft ein leicht salziger Unterton im Geschmack, der darauf zurückzuführen ist, dass kleine Pfützen des Seewassers mit seinem natürlichen hohen Salzgehalt im Sommer austrocknen und das verbliebene Salz dann vom Wind bis zwischen die Rebstöcke geweht wird, wo es in den Boden sickert und von den Wurzeln begierig aufgesaugt wird.
Diese Rebstöcke stehen in kleinen Gemeinden wie Apetlon, Illmitz und Frauenkirchen, dicht an dicht reihen sich hier einige der renommiertesten Weingüter des Landes aneinander. Das kleine Örtchen Gols ist mit 1800 Hektar Rebfläche, die einem Fünftel der Einwohner Arbeit verschaffen, die wohl größte Weinbaugemeinde Österreichs. Die urigen Kellergassen, die sich in fast jedem Dorf finden, zeugen noch von der historischen Art der Lagerung, die mittlerweile freilich meist in die hochmodernen und sehr repräsentativen Neubauten der Weingüter verlegt worden ist, wo Jungwinzer kühne Cuvées oder spannende Naturweine entwickeln.
Nach wie vor ist ein großer Teil des Sees im Besitz des Geschlechts der ungarischen Esterhazy, die als Fürsten jahrhundertelang nicht geringe Besitzungen im Burgenland regierten. Das Barockschloss der Familie in der gerade einmal 15 000 Einwohner zählenden Landeshauptstadt Eisenstadt zeugt noch immer von der geographisch vorteilhaften Lage der Region zwischen Wien und Budapest. Diese brachte allerdings nicht nur Vorteile: während der osmanischen Eroberungsfeldzüge wurde der Landstrich geplündert und verwüstet, später der hohe Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung im Zuge des Österreichisch-Ungarischen Ausgleichs, der die Doppelmonarchie begründete, einer zwangsweisen Magyarisierung, also Assimilation an die ungarische Kultur, unterworfen.
Auch wenn die Esterhazys seit dem Ende des Kaiserreichs rechtlich nicht mehr als adlig gelten, über ein großes Weingut verfügen sie nach wie vor, schon der lange Zeit in Familiendiensten stehende Komponist Joseph Haydn soll sich des öfteren mit Wein für seine Arbeit entlohnen lassen haben. Im Gebiet Leithaberg liegt es, westlich des Neusiedlersees an den sanften Hängen des Leithagebirges, dessen helle, feste Muschelkalkboden für die kreidige Unterlage sorgen, auf der die immer wieder durchstoßenden Vorkommen an Gneis und Schiefer dann belebende mineralische Akzente hervorrufen. Das kommt in erster Linie Weißweinen zugute, die hier einen Stellenwert genießen wie nirgendwo sonst im Burgenland. Während am Ostufer eher leichte Formate wie Veltliner und Welschriesling kultiviert werden, kommen hier auch Schwergewichte wie Weißburgunder oder der Chardonnay zur Vollendung, alles im Spannungsfeld zwischen kühler Luft aus dem Gebirge und warmer vom See her.
Von letzterer, insbesondere wenn sie im Herbst Feuchtigkeit mit sich trägt und es am Ufer leicht schwül wird, profitieren die etwa 450 Hektar um das malerische Städtchen Rust am Westufer des Sees, wo auch die österreichische Weinakademie ihren Sitz hat, besonders - hier liegt das Süßwein-Mekka der Alpenrepublik. Der Ruster Ausbruch stellt eine eigene Prädikatsstufe dar, sein Restzuckergehalt muss bei mindestens 156 Grad Oechsle liegen, was ihn mit einer deutschen Trockenbeerenauslese vergleichbar macht, allerdings weniger süß im Geschmack. Die Ruster sind stolz auf ihre meist aus Gelbem Muskateller und der ungarischen Furmint-Rebe (aus der man auch den bekannten Tokajer keltert) gepresste Spezialität, hat sie doch den Namen des 2000-Seelen-Örtchens im ganzen Land bekannt gemacht. Im 17. Jahrhundert kaufte man sich mit ihrer Hilfe beim Kaiser den Freistadt-Status, der vom Landesherrn unabhängig machte und Selbstverwaltung erlaubte, später machte man ein Vermögen durch die Belieferung der Festtafeln des Wiener Hofes mit dem edlen Tropfen.
Auch wenn es schwer fällt, sich vom See zu verabschieden, lohnt sich die Fortsetzung der Entdeckungstour weiter Richtung Süden allemal, insbesondere für Freunde gehaltvoller Rotweine. Einen ersten Eindruck davon erhält man in der Rosalia, erst vor wenigen Jahren von einer Großlage zum selbstständigen Weinbaugebiet aufgestiegen und mit etwa 250 Hektar das kleinste in ganz Österreich. Den hübschen Namen verdankt es dem Rosaliengebirge, einem Alpenausläufer, der für kühle Nächte sorgt, was im Wechsel mit den heißen Sommertagen einen erstaunlichen Spannungsbogen in den Weinen erzeugt. Das können einerseits Blaufränkisch und Zweigelt sein, deutlich bekannter ist man hier aber - der Name gibt schon einen unbeabsichtigten Hinweis darauf - für Roséweine mit würziger Verspieltheit, die die fruchtbaren Braunerdeböden ihnen mitgeben. Aber da geht noch ein bisschen mehr in Sachen Druck und Fülle, oder?
Klar! Also auf ins Mittelburgenland! Hier in der sanft von Ödenburger Gebirge und Günser Bergland eingehegten Gegend, ein wenig südlich der Stelle, an der das Burgenland sich bis auf vier Kilometer Breite verengt, ist die Landschaft von sanften Hügeln geprägt. Auf den fetten Lehmböden, die auch in heißen Sommern hervorragend als Wasserspeicher fungieren, wächst zum überwiegenden Teil die Rebsorte, die dem ganzen Gebiet ihren Spitznamen gegeben hat: Blaufränkischland. Zwar keltert man hier auch Merlot und Cabernet Sauvignon, aber deren magere Anteile scheinen die Vorherrschaft der in Deutschland als Lemberger bekannten Traube nur zu unterstreichen. Es ist wohl nicht übertrieben, diese von gerade einmal 100 Winzern bestellten 2000 Hektar als das Herz des österreichischen Rotweins zu bezeichnen, denn kaum sonst irgendwo sind die Blaufränkischen mit dem ins Schwärzlichviolette tendierenden Schimmer und dem unvergleichlich klaren Aroma so sehr Überbringer ihrer Herkunft wie hier im Viereck zwischen Deutschkreutz, Horitschon, Oberpullendorf und Lutzmannsburg. Mit dem leichten „Viertele“, dem Schoppenwein aus Württemberg, haben diese Tropfen nichts mehr gemein - gerade wenn sie als Reserve daherkommen und die warmen Holzaromen des Barrique in einen Dialog mit seiner dunklen Waldfruchtigkeit treten. Eine grandiose Entwicklung, wenn man sich die Langeweile seiner molligen, konfitüreähnlichen Vertreter vor Augen hält, die hier noch vor einigen Jahrzehnten die Regel waren.
Wer nun die ursprünglichsten Blaufränkischen hervorbringt, ob das Mittelburgenland oder das angrenzende Gebiet Eisenberg, das sei mal dahingestellt: hier ganz im Süden des Burgenlandes verdrängt das illyrische Klima der Adria langsam das pannonische, die Weine geraten insgesamt frischer, man erkennt geschmacklich schon die Nähe zur Steiermark. Wie der See die leichte Salzigkeit und das Leithagebirge die Schiefersäure zu ihrer Visitenkarte machen, so ist es hier oft eine angenehme geschmackliche Spitze des Eisens, das Namensgeber der Region ist. Die Gegend ist deutlich ruhiger als das touristische Umland des Neusiedlersees, auch die Weingüter sind kleiner, viele noch echte Familienbetriebe. Der eine oder andere dürfte auch einen Uhudler im Angebot haben. Einen was…? Nun, nach dem etwas übermäßigen Genuss von vergorenem Rebensaft schon einmal aufgewacht und im Badezimmerspiegel die tiefen Augenringe betrachtet, die die Zecherei hinterlassen hat? Wie eine Eule, ein Uhu eben, schaut man aus, und das ist auch eine der Herleitungen, wenn man Einheimische nach der Herkunft des Namens fragt. In der Gegend um Heiligenbrunn, dem allersüdlichsten Zipfel des Burgenlandes, keltert man diesen geradezu archaischen Rosé, und man darf es auch nur hier! Klingt ein bisschen verboten? Das war der Uhudler tatsächlich eine lange Zeit, und auch jetzt ist sein Status nur vorläufig geklärt. Delaware und Concord, zwei der neun für ihn zugelassenen Trauben, geben mit ihren Namen schon Aufschluss darüber, woher selbige stammen. Die wilden Hybridreben waren während der Reblausplage, als die verzweifelten Österreicher schon daran dachten, alle möglichen anderen Beeren zu mosten, um nur irgendwas zu trinken zu haben, aus den USA eingeführt worden. Als Direktträger, also unveredelten, auf den eigenen Wurzeln wachsenden Reben, haben sie sich ein sehr eigenwilliges Geschmacksbild erhalten, am ehesten noch vergleichbar mit säuerlichen wilden Erdbeeren.
Warum aber steht nun auf Weinen wie dem Uhudler und manch anderen Flaschen schlicht „Burgenland“ und auf anderen der Name eines spezifischen Weinbaugebiets wie „Eisenberg“? Dies hängt mit der DAC-Klassifizierung zusammen: ist die Rebsorte als besonders gebietstypisch eingestuft worden, darf sie den DAC-Titel tragen, jede andere Rebsorte trägt lediglich den Namen des Bundeslandes. Im Einzelnen sind DAC-konform für den Neusiedlersee der Zweigelt, für Leithaberg Blaufränkisch, Weißburgunder, Chardonnay, Grüner Veltliner und Neuburger, für das Mittelburgenland und Eisenberg jeweils Blaufränkisch, für Rosalia Blaufränkisch und Zweigelt sowie diverse Qualitätsrebsorten für Rosé und in Rust eine oder mehrere weiße Qualitätsreben für den Ruster Ausbruch.
Ja, auch diese Region ist Österreich. Zwar landschaftlich nicht so wild-romantisch wie die schneebedeckten Alpengipfel, aber dort kann man ja auch keinen Wein anbauen. Die wahre Vielfalt findet sich nicht so sehr im sichtbaren Bereich, nicht in pittoreskem Terrassen-Weinbau und schartigen Schieferfelsen, sondern verborgen in den Böden und flüchtig den Winden. Wirklich fassbar ist nur das Endprodukt. Ob nun als urwüchsiger Roter, mineralischer Weißer oder raffinierter Süßwein - was hier auf gerade einmal 150 Kilometern Nord-Süd-Ausdehnung wächst, gehört zum Präzisesten, was der deutschsprachige Raum zu bieten hat.