Friaul
Wenn sie einfach nur mal ein paar Jahrzehnte ihre Ruhe haben wollen würden - man könnte es ihnen nicht verdenken. Aber das gilt im Friaul als die falsche Einstellung: man ist ständig in Bewegung und hat sich mit viel Schweiß an die qualitative Spitze der italienischen Weißwein-Produktion vorgearbeitet - trotz seiner sehr wechselvollen und oft harten Historie. Ja, man hatte es hier, bedingt durch die geografische Randlage im äußersten Nordosten des Landes, nicht immer leicht. Dabei begann es für den Weinbau eigentlich ganz gut: schon während der Bronzezeit, also vor etwa 3000 Jahren, wurden hier die ersten Reben gepflanzt.
Im Detail
Friaul
Später war der Landstrich sehr beliebt bei römischen Legionären, die ihren Abschied von der Armee genommen und danach einen Anspruch auf ein kleines Landgut hatten. Auf diesem wurde dann neben anderem Obst und Gemüse auch Wein angebaut. Diese Selbstversorgerpraxis, die zwar keine geschmacklich überragenden Tropfen hervorgebracht haben wird, aber doch ein erstes flächendeckendes Netz kleiner Weinberge etablierte, nahm ein jähes Ende, als während der Völkerwanderungszeit die Langobarden in den Landstrich einfielen. Was nicht direkt zerstört wurde, verfiel nach und nach. Erst den Patriarchen von Aquileia, einer Stadt, die damals ob ihrer strategisch günstigen Lage an vielen Handelswegen in ihrer Bedeutung direkt hinter Rom rangierte, gelang es, den Faden wieder aufzunehmen und unter Herrschaft der Kirche den Weinbau erneut zu einem bedeutenden Standbein der Region zu machen.
Waren diese zwar schon recht einflussreiche, aber immer noch in der Region selbst ansässige Herrscher, geriet das Friaul im Jahr 1420 an die Republik Venedig, einer absoluten Supermacht. Fast 400 Jahrhunderte teilte man ein gemeinsames Schicksal - der zweite, im alltäglichen Sprachgebrauch meist unterschlagene Namensteil „Julisch-Venetien“ erinnert noch heute daran. Das Friaul profitierte einerseits vom ausgedehnten Seehandel in der Levante, litt andererseits aber auch unter dem sich ab dem 16. Jahrhundert abzeichnenden, langsamen Niedergang des venezianischen Einflusses in der Welt. Ein Player, der zeitgleich in die entgegengesetzte Richtung marschiert war, nämlich von einem recht unbedeutenden Herzogtum zu einer der dominierenden Mächte Mitteleuropas, witterte diese Schwäche - und so riss sich das Haus Habsburg im Jahr 1797 das Friaul unter den Nagel und verleibte es seinem Vielvölkerstaat ein. Für Wien hatte es vor allem strategische Bedeutung: die heutige Hauptstadt Triest, ob ihrer Kaffeehauskultur gern als „Wien am Meer“ bezeichnet, fungierte damals als Stützpunkt der österreichischen Mittelmeerflotte. Die glorreiche Zeit der k.u.k.-Monarchie erlebte der Landstrich jedoch nicht mehr: ein Jahr vor deren Beginn 1867 fiel es an das gerade erst gegründete Königreich Italien.
Waren bis zu dieser Zeit vor allem autochthone Sorten kultiviert worden, änderte die gegen Ende des Jahrhunderts einsetzende Reblausplage das Portfolio radikal: während der aufwändigen Neuanpflanzungen gelangten in großer Zahl französische Trauben in die bisher eher abgelegenen Weinberge. Cabernet Sauvignon, Merlot, Sauvignon Blanc und Pinot Grigio schlugen aufgrund ihrer zuverlässigen Erträge und besserer Vermarktbarkeit auf den zunehmend internationalen Märkten schnell Wurzeln. Ähnliches war Österreich in den 70 Jahren seiner Herrschaft nicht gelungen: Veltliner, Blaufränkisch und Co. sucht man im Friaul vergebens. Doch wo man auf einen weintechnischen Fingerabdruck wohl verzichten mochte, konnte man sich mit dem Verlust von Triest ganz und gar nicht abfinden - im Ersten Weltkrieg tobten die grausamen Isonzoschlachten auf friulischem Gebiet und auch der Gebirgskrieg in den Julischen Alpen hat mit Schützengräben und weggesprengten Berggipfeln seine Spuren hinterlassen. Ein Großteil des Bodens ist im wahrsten Sinne des Wortes mit Blut getränkt.
Italien, Österreich - und dann ist da ja auch noch Slowenien, dessen Nachbarschaft sich in der Zeit des Kalten Krieges als verheerend erwies. Zwischen dem Friaul und dem sozialistischen Jugoslawien verlief die Grenze zwischen Ost und West, der viele alte Handelswege abschnitt und eine über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft zerstückelte. Man musste sich also irgendwie neu erfinden, wollte man in der Weinwelt weiterhin eine Rolle spielen. Und nahm glücklicherweise einen erst später so richtig einsetzenden Trend vorweg: man gab den bisherigen Fokus auf rote Trauben auf und verschrieb sich mehr und mehr dem Weißwein, der heute 85 Prozent der Gesamtproduktion ausmacht. Zusätzlich öffnete man sich moderner Kellertechnik wie der gekühlten Gärung in Stahltanks, was einen Anschluss an die führenden Weinbauregionen Europas ermöglichte. Der bisherigen, sehr rustikalen Machart - überreife, wild zusammengewürfelte Trauben zusammen mit den Stielen in Holzgebinden vergären zu lassen, was zu beinahe likörähnlichen Resultaten mit Kopfschmerz-Potential führte -, setzte man Reinsortigkeit und einen geschmacklich sehr klaren und fokussierten, fruchtbetonten Stil entgegen. Ab den 80er Jahren war man angekommen auf dem Weltmarkt und konnte sich infolgedessen auch über Wasser halten, als eine Zeit lang eher kräftige Rotweine á la Toskana gefragt waren.
Dann fiel endlich der Eiserne Vorhang und das Friaul tauschte seine Zonenrandlage gegen eine strategisch äußerst günstige Position in einem europäischen Dreiländereck. Collio Goriziano liegt, als neben den Colli Orientali wohl bekannteste und beste Weinbauregion Friauls, nicht umsonst teils auf slowenischem, teils auf italienischem Boden. Nicht nur die unterschiedlichen sprachlich-kulturellen Gegebenheiten fließen hier zu einer interessanten Mixtur zusammen, auch das vorherrschende Klima profitiert von einer Vielzahl an Einflüssen. Im Norden, an der Grenze zum österreichischen Kärnten, schützen die Julischen Alpen vor kalten Winden aus Russland, wodurch Spätfröste hier in der Regel keine Gefahr darstellen. Die von den Bergen dennoch stetig herabwallende gewisse Kühle verleiht den Weinen die so wichtige lebhafte Säurestruktur. Aus der anderen Richtung, der südlich gelegenen Adria mit der Lagune von Venedig, gelangen angenehm warme, mediterrane Luftströme bis weit ins Hinterland hinein. Ebendiese sorgen auch dafür, dass die recht hohen Niederschlagsmengen kein Problem darstellen: die nach einem Regenschauer den Pflanzen anhaftende Feuchtigkeit wird quasi weggefönt, die Gefahr von Pilzerkrankungen auf natürliche Weise minimiert. Ein echter Wohlfühlort für Trauben, die hier vergleichsweise schnell ausreifen und früh gelesen werden können.
So sehr von seiner Umgebung begünstigt zu werden ist der Friulano eigentlich gar nicht gewohnt. Denn das weintechnische Aushängeschild der Region gibt sich eher genügsam und liefert auch bei nicht so optimalen Verhältnissen hohe Erträge, muss sogar radikal zurückgeschnitten werden, um später geschmacklich nicht zu verflachen. Obwohl sein Name darauf hindeutet, dass es sich um eine autochthone Rebe handelt, liegen seine Wurzeln eigentlich im Süden Frankreichs. Warum er dann aber bis vor wenigen Jahren noch als Tocai bezeichnet wurde - der Name des berühmtesten Weines Ungarns, das auf eine Namensänderung pochte - kann niemand so recht erklären: ein Zeichen dafür, wie wenig man in Zeiten vor gentechnischen Analysemöglichkeiten über Herkunft und Verwandtschaft verschiedener Rebsorten wusste. Während er in Europa sonst so gut wie nirgends kultiviert wird, halten sich im weit entfernten Südamerika, in Argentinien und Chile, einige nennenswerte Bestände. Der goldgelbe, von Natur aus recht alkoholstarke Wein wird meist, wenn auch nicht immer, trocken ausgebaut und gerät dann zu einem säurearmen, aber dennoch frischen Alltagstropfen mit Anklängen an Zitrusfrüchte, Äpfel und Wiesenkräuter - ein perfekter Aperitif für einen lauen Sommerabend.
Der Friulano nimmt etwa ein Drittel der insgesamt 20 000 Hektar Rebfläche im Friaul ein, was es in etwa so groß wie das deutsche Weinbaugebiet Pfalz macht. In Anbetracht der 700 000 Hektar, die ganz Italien auf sich vereinigt, ist das freilich sehr wenig. Die Fläche ist jedoch seit Jahren im Wachsen begriffen, und der Grund dafür heißt Glera. Seit 2010 ist dies der Name der vormals als Prosecco bezeichneten Traube, während der Begriff Prosecco seither nur noch das Herkunftsgebiet bezeichnet. Dieses ist sehr groß und erstreckt sich nicht nur über Teile Friauls, sondern auch solche des angrenzenden Venetiens. Wer den tatsächlichen Ursprung des Schaumweines besuchen will, der findet das gleichnamige Dorf übrigens hochgelegen auf dem Karst in der Nähe von Triest. Dass immer mehr Flächen für die Glera ausgewiesen, mithin sogar rote Rebstöcke für sie gerodet werden, mag zum Teil mit dem unglaublichen Erfolg des Aperol Spritz zusammenhängen - ein Trend, der sich in Ländern wie Frankreich, wo immer mehr Cremant erzeugt wird, ebenfalls beobachten lässt.
Wer glaubt, der weiße Rebsorten-Reichtum sei mit diesen beiden schon an sein Ende geraten, der irrt. Wir haben ja noch gar nicht die Ribolla Gialla erwähnt. Die ist in der Tat manchmal leicht zu übersehen, denn sie wird kaum in der Ebene angebaut, wo sie zu ihrem geschmacklichen Nachteil wild wuchern würde, sondern fast ausschließlich in den kargen Hügellandschaften im Osten. Als leichter und frischer Wein mit fruchtig-blumiger Aromatik hat sie das Zeug zu einem Tropfen, mit dem jeder glücklich gemacht werden kann. Dabei bietet die Ribolla Gialla der neugierigen Nase einen ganze Obst-Klaviatur an, die auch gern mal eher unvertraute Akkorde wie Stachelbeere oder Grapefruit einfließen lässt. Ihre leicht balsamischen, an Salbei erinnernden Anklänge federn dabei den recht hohen Säuregehalt gut ab. Nur selten trocken, sondern vor allem „dolce“, also als feiner Süßwein, brilliert hingegen der Verduzzo. Er bildet die Grundlage für den bernsteinfarbenen, DOCG-geadelten Ramandolo, dessen unaufdringliche Süße, nussig unterlegten Honig- und Vanillenoten und tänzelnde Säure ihn zu einem der besten Vertreter seines Fachs in Italien machen.
Ebenso wie jede Rebsorte ihre eigene Geschichte hat, sind auch die Böden, auf denen die Stöcke wachsen, nicht einfach vom Himmel gefallen. Hier müssen wir allerdings nicht in Jahrhunderten denken, sondern eher in Jahrmillionen. Etwa 50 davon sind vergangen, seitdem das Friaul als riesiges Korallenriff am Boden eines wilden Urmeeres lag. Im Laufe der Zeit lagerten sich verschiedenste Sedimente ab, die sich allmählich verdichteten und die heutige Bodenstruktur prägen: in den Ebenen im Westen sind es vor allem Lehm und Schwemmland, die eher den Anbau einfacher Weine begünstigen. Im Osten hingegen bildeten tektonische Verschiebungen - die bis zum heutigen Tage nicht abgeschlossen sind und in jüngster Zeit zu verheerenden Erdbeben geführt haben - eine Hügellandschaft und türmten schließlich die Alpen auf. Hier trat vor allem Kalk an die Oberfläche, überlagert von Sandstein und Mergel, hin und wieder findet sich sogar ein vulkanischer Einschlag. Die Böden sind recht locker und lassen Wasser schnell versickern, zudem arm an Nährstoffen wie Stickstoff, dafür aber reich an Mineralien - perfekt zur Erzeugung von Spitzenweinen, denn diese Struktur sorgt dafür, dass die Rebstöcke es nicht allzu leicht haben und dann fett und träge werden, sondern tief hinabwurzeln müssen, um sich versorgen zu können. Im Wein spiegeln sich diese Einflüsse durch eine feine Mineralik, hohe Komplexität und lange Lagerfähigkeit wider. Die Lockerheit der Böden ist zwar einerseits ein Vorteil, der es auch jungen Rebstöcken ermöglicht, einen guten Stand zu erlangen, andererseits sehr erosionsanfällig. Gerade in hügeligen Regionen setzt man deshalb auf Terrassenweinbau, der die Weinbergsflächen mit Stützmauern davor schützt, beim nächsten Regen weggespült zu werden. Zudem spritzt man nicht jedes dort zwischen den Reben wachsende Pflänzchen zu Tode, sondern setzt auf die das Erdreich stabilisierenden Eigenschaften möglichst vieler Wurzeln - auch wenn sie von sogenanntem „Unkraut“ stammen. Das wiederum bietet vielen Insekten und Kleinsäugern einen Lebensraum - ökologischer Weinbau, ohne das Prädikat an die große Glocke zu hängen.
Auf solchen Böden werden jedoch nicht nur die Grundlagen für feine Weine gelegt, auch die Rohprodukte anderer Lebensmittel profitieren von der herrlichen Lage zwischen Alpen und Adria. Die Basis vieler friulischer Gerichte bildet Polenta, also Maisgrieß. Ob einfach nur gekocht und mit zerlassener Butter vermengt, gebraten oder gegrillt, als Hauptgericht oder Beilage - die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt. In der Provinz Udine kommt man kaum am Schwein vorbei, dessen Fleisch mit Vorliebe zu Pancetta verarbeitet wird: geräucherter und gereifter Bauchspeck, den man je nach Fettgehalt entweder als Grundlage für deftige Eintopfgerichte oder als schmackigen Aufschnitt schätzt. Von etwas feinerer Aromatik ist der berühmte Schinken aus San Daniele, der ebenso wie die Weine bei seiner Reifung vom Zusammentreffen feuchtwarmer Adrialuft mit den kühl-trockenen Alpenwinden profitiert. Galt er bis vor 100 Jahren als kaum beachtete, nur lokal bekannte Spezialität, trat er ab den 50er Jahren seines Siegeszug um die Welt an - immer ein wenig im Schatten des „großen Bruders“ aus Parma, aber mit einer treuen Anhängerschaft, die den milden, leicht süßlich-nussigen Geschmack des Schinkens schätzt. Im Dessertbereich dominiert bis heute der altösterreichische Mehlspeisen-Einfluss: an Strudel und Co. reicht höchstens noch das Tiramisu heran, das - entgegen entschiedener Proteste aus Venetien - wahrscheinlich hier erfunden wurde. Obwohl all dies einen Hauch von Haute Cuisine, von ausgesuchtem Genuss hat, ist die ursprüngliche friulische Küche im Grunde sehr einfach gestrickt - eine Küche der Bauern, Hirten und Reisenden auf den hier verlaufenden Routen an die Adriaküste oder in Richtung Balkan, seit jeher multikulturell geprägt. Das beste Beispiel dafür ist ein ehrliches Frico, im benachbarten Kärnten auch bekannt als Frigga. Das Omelett mit Speck und Käse - vorzugsweise der heimischem würzige Montasio - wurde in früheren Zeiten von Holzfällern in schwarzgerußten Pfannen über dem Lagerfeuer ausgebacken. Auch Triester Gulasch und die Jota, eine gehaltvolle, intensiv gewürzte Suppe aus Sauerkraut und Bohnen oder sauren Rüben mit Selchfleisch, schlagen in dieselbe Kerbe.
Bei einer derart gehaltvollen Küche muss aber irgendwann auch mal ein Rotwein her! Kein Problem, auch wenn die roten Tropfen meist eher das Format unkomplizierter Alltagsweine haben und qualitativ nicht an ihre weißen Kollegen heranreichen. Da die Konkurrenz aus anderen Landesteilen groß ist, schaffen es nur sehr wenige Rote überhaupt in den Export, sondern bleiben eher den Einheimischen vorbehalten. Schade eigentlich. Denn neben den hinlänglich bekannten Cabernet Sauvignon und Merlot wartet das Friaul auch hier mit spannenden Underdogs auf, denen eine Chance zu geben sich immer lohnt. Wer gern alle Regler nach rechts gedreht hat in Sachen Wein, der greift am besten zum kernigen Refosco, besser gesagt zum hier vorherrschenden Refosco dal Peduncolo Rosso, dem „mit den roten Stielen“. Schon der Name allein ist eine Ansage, und die hohen Säure- und Gerbstoffwerte sind es auch. Zu allem Überfluss ist er eine wahre Fruchtbombe: satte Pflaumen- und Feigen-Aromatik prescht ordentlich vor und hat gern mal interessante Noten von Mandeln, Tabak und Veilchen im Schlepptau. Etwas im Weg steht er sich höchstens mit seiner Unbeständigkeit: überzeugt er in einem Jahr mit ausgewogener Vollmundigkeit, kann er im Jahr darauf äußerst ungestüm, nämlich bitter und geradezu aggressiv sauer geraten - für Kellermeister, die über Tischwein-Qualitäten hinauskommen wollen, eine echte Herausforderung. Gerade diese unverzüchtete, noch an wilden Wein erinnernde Urtümlichkeit ist es aber, die solche Tropfen von industriellen Massenweinen bestens abhebt. Mit einer ersten schriftlichen Erwähnung bereits Anfang des 15. Jahrhunderts gilt er als eine der ältesten italienischen Rebsorten. Noch deutlich betagter ist da höchstens der Schiopettino - wieder so ein Sunnyboy-Name! Ob er den der harten Schale seiner Beeren verdankt, die ihn ebenso wie den Refosco vor Schädlingsbefall und Fressfeinden schützt, dem spritzigen Mundgefühl oder doch Lautmalerei für das Geräusch der im Mund platzenden Früchte ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Fast wären die aus ihm gekelterten, dunklen und waldbeerig-pfeffrigen Weine gar nicht bis in unsere Zeit gelangt, denn aufgrund seiner Tendenz zur Verriegelung und der Anfälligkeit gegenüber Falschem Mehltau tendierte seine Anbaufläche irgendwann gegen Null, bevor in den 70er Jahren einige Winzer eine erfolgreiche Wiederbelebung starteten.
Besonders Ausschau halten sollte man nach dem Pignolo. Ist der Refosco eher der junge Rowdy, der mit der Vespa mitten über die Piazza rast, kann der Pignolo uns als die in Wein gegossene Version des gestandenen Signore gelten, der dabei tadelnd an seinem Espresso nippt. Sein Name deutet lautlich auf eine Verwandtschaft mit der Pinot-Familie hin, mit einem Pinot Noir hat dieser tiefdunkle Wein aber nichts zu tun. Vielmehr ist er - das haben beide dann doch gemein - der Tannenzapfenform der Traube geschuldet, so zumindest die Wohlmeinenden. Spötter hingegen weisen darauf hin, dass der Name aus dem Italienischen auch als „pingelig“ oder „kleinlich“ übersetzt werden kann - ein nur allzu deutlicher Hinweis auf die Kombination aus geringen Erträgen und hohen Standortansprüchen, die der Rebe eigen sind. Die Friulaner vergleichen ihn gern mal mit dem piemontesischen Barolo, und in der Tat eint beide ein hoher Tanningehalt, der erst durch lange Reifezeiten gezähmt werden muss. Die üppige Kirschfrucht und die anfangs nicht allzu gaumenschmeichelnden Noten von Bitterschokolade, Kaffee und schwarzem Pfeffer sind sicherlich nicht jedermanns Sache, zu einem guten Steak aber einfach unschlagbar.
Wir sehen: Vielfalt ist in Friuli-Venezia Giulia, wie die Einheimischen ihre Heimat nennen, keine bloße Marketing-Worthülse, sondern gelebte Praxis. Und das in vielerlei Hinsicht: natürlich ist Italienisch die von allen geteilte Lingua franca, daneben sind aber auch diverse Minderheitensprachen anerkannt. Besonders das Furlanische genießt einen hohen Stellenwert - als rätoromanische Sprache ist es eng mit gewissen Schweizer Dialekten verwandt. Daneben haben das Venetische, das Slowenische und vor allem das Deutsche eine lange Tradition. Deutlich machen das im Weinbereich insbesondere sehr deutsch anmutende Namen wie Jermann - der ursprünglich aus dem österreichischen Burgenland stammende, berühmteste Winzer der Region. Wobei, „berühmt“ - das ist hier immer so eine Sache, denn die Weinbauern im Friaul haben verstanden, dass nicht für ewig ist. Der Picolit etwa, ein Dessertwein aus der gleichnamigen Traube mit ihren sehr kleinen Beeren, zählte im 18. und 19. Jahrhundert zu den gesuchtesten süßen Tropfen Europas und wurde an Fürstenhöfen und bei Staatsempfängen ausgeschenkt. Anders als etwa den Weinen von Sauternes gelang es ihm jedoch nicht, sich den Nimbus des edlen Elixiers dauerhaft zu erhalten. Um ihn wieder auf ein dauerhaft hohes qualitatives Niveau zu heben und den Bekanntheitsgrad immerhin etwas zu steigern, verlieh man dem Picolit 2006 den DOCG-Status - einer von insgesamt vier im Friaul, zu denen sich noch ganze zehn, wenn auch oft nur sehr kleine, DOC-Zonen gesellen. Fast die Hälfte aller friulischen Weine können sich mit einem der beiden Prädikate schmücken, eine in Italien extrem hohe Quote.
Mittlerweile muss man aber doch ein bisschen kämpfen, denn die Zeiten, in denen in Sachen Weißwein erst Frankreich kam, dann direkt das Friaul und dann erstmal längere Zeit nicht so viel, die sind schon länger vorbei - inzwischen werden auch in Deutschland und Österreich Weiße auf Weltniveau erzeugt. Doch Stillstand oder gar Selbstmitleid liegt den hiesigen Weinbauern fern, und so wird man halt gern mal zum Vorreiter. Eines der eindrücklichsten Beispiele der vergangenen Jahre ist der Bereich Orange Wines - die nach der Art eines Rotweines erzeugten, also zusammen mit den Schalen vergorenen Tropfen sind mittlerweile obligatorisch für jede Weinbar, die etwas auf sich hält. Die Weingüter Radikon und Gravner haben hier echte Pionierarbeit geleistet, und wo sonst passen in Amphoren ausgebaute Naturweine besser hin als in diese etwas abseitige Gegend? Wo, abgesehen von Südtirol, die besten Weißweine ganz Italiens erzeugt werden - selbst der in anderen Landesteilen gern mal etwas blass ausfallende Pinot Grigio gerät hier beeindruckend charakterstark. Ja, kommen und staunen… der Weintourismus steckt noch in den Kinderschuhen und lockt anders als komplett durchkommerzialisierte Regionen wie die Toskana mit echten Entdeckungen. Sowieso scheint das Konzept Masse hier nicht recht zu funktionieren: angesagte „Trendweine“, Glamour und große Namen sucht man vergebens, und auch die Preise bewegen sich in der Regel deutlich über Supermarkt-Niveau. Weder für Etiketttrinker noch für Pfennigfuchser die richtige Adresse also - für Liebhaber uralter autochthoner Trauben, nach Entschleunigung suchende und gern auf historischen Pfaden wandelnde Genießer dafür umso mehr.