Apulien
Wie eine Stein gewordene Krone erhebt sich der trutzige Bau über der ausgedörrten Landschaft. Das Castel del Monte in der Nähe der Hauptstadt Bari regt seit jeher die Fantasie an: wozu diente die niemals fertiggestellte Anlage? Als komfortabler Landsitz, von dem aus man zu Jagdausflügen in die Umgebung aufbrechen konnte? Als frühes Fort Knox, in dem unvorstellbare Schätze gebunkert wurden? In jedem Fall hat Friedrich II. sich ein eindrucksvolles Denkmal setzen lassen. Der vielleicht berühmteste Bewohner Apuliens, Enkel von Friedrich Barbarossa, war zunächst König von Sizilien, bevor er im frühen Erwachsenenalter zum ersten Mal deutschen Boden betrat und - faktisch als Ausländer - erst römisch-deutscher König, dann Kaiser und nach erfolgreichem Kreuzzug auch noch König von Jerusalem wurde. Als der Stauferherrscher vor über 800 Jahren in Apulien weilte, wird er kaum geahnt haben, dass drei der vier hiesigen DOCG-Weine benannt sind nach seiner Lieblingsburg mit dem markanten achteckigen Grundriss, der wiederum von acht achteckigen Türmen gesäumt wird.
Im Detail
Apulien
Zwei jener vier Weine bestehen aus der wohl hochwertigsten Traube der Region, der Uva di Troia. Die Legende besagt, dass die Griechen sie einst aus der sagenumwobenen Stadt Troja mit nach Italien brachten, als sie den Mittelmeerraum kolonisierten. Und obwohl die Herleitung wohl eher nicht der Realität entspricht, sondern die Rebe mit ihrer prägnanten Kräuterwürze aus dem kleinen Örtchen Troia in der Nähe von Foggia im apulischen Norden stammt, ist die Bedeutung der alten Griechen für den Weinbau und die allgemeine Entwicklung im äußersten Südosten Italiens nicht zu unterschätzen. Vor weit über 2500 Jahren pflanzten sie hier Rebstöcke an, womit Apulien als eines der ältesten noch heute kultivierten Weinbaugebiete nicht bloß Italiens, sondern der ganzen Welt gelten kann. Es ist einigermaßen erstaunlich, dass sich die spätreifende, ertragsarme Uva di Troia behaupten konnte hier unten in einer der ärmsten Regionen des Landes, wo man eigentlich eher auf Massenträger setzt oder gleich auf französische Reben wie Cabernet Sauvignon oder Merlot, die sich international besser vermarkten lassen. Immerhin blieb den apulischen Winzern der Aufstieg des sizilianischen Nero d’Avola nicht verborgen, weshalb viele von ihnen durch eine Umbenennung der Uva di Troia in Nero di Troia auf der Erfolgswelle mitzuschwimmen versuchten.
Ob Friedrich II., von seinen Zeitgenossen nicht nur aufgrund seiner außergewöhnlich hohen Bildung ehrfürchtig „stupor mundi“, das Staunen der Welt genannt, auch Uva di Troia getrunken hat? Wir wissen es nicht genau. Aber man darf wohl annehmen, dass er Rebensaft aus diesen Gefilden genoss, und dieser war höchstwahrscheinlich rot. Endlich mal eine Region, die den landläufigen Erwartungen an italienischen Weinbau gerecht wird, mag man sich da denken: in Apulien sind vier von fünf erzeugten Weinen Rotweine. Dieser Umstand hängt besonders mit den klimatischen Verhältnissen vor Ort zusammen, denn anders als die meisten anderen Regionen Italiens ist Puglia, wie es die Einheimischen nennen, arm an Bergen oder Hügelketten - die das gesamte Land dominierenden Apenninen haben es schlicht links liegen gelassen. Stattdessen herrschen Hochebenen und Flachland vor, die sich sehr einfach bewirtschaften lassen. Kommt man aus den benachbarten Regionen Molise oder Basilikata mit ihren vielen schrundigen Felsformationen nach Apulien, fühlt man sich manchmal wie ein Europäer in den USA: mit offenem Mund bestaunt man die riesigen Dimensionen der Getreidefelder, Olivenhaine und Weinpflanzungen. Andererseits sind die Reben durch die Offenheit der Landschaft auch recht schutzlos der sengenden Sonne und heißen Winden ausgesetzt - mediterranes Klima in Reinform. Viele werden traditionell nah am Boden liegend in Buschform kultiviert, anstatt sie auf Drähten in Hochkultur zu ziehen, wodurch sie möglichst wenig Angriffsfläche bieten, und müssen während des Sommers künstlich bewässert werden - es sei denn, es handelt sich noch um von der Reblausplage verschonte uralte, tief in den Untergrund hinab wurzelnde Reben, von denen es hier mehr gibt als kaum sonst irgendwo in Italien und die den wahren Schatz Apuliens bilden. Immerhin halten die Nächte ein wenig Erholung bereit. Denn Apulien ist durch seine exponierte Lage wie sonst nur wenige andere Regionen Italiens den Einflüssen des Mittelmeers ausgesetzt. Im Osten, dem Sporn des italienischen Stiefels, liegt das Adriatische Meer, im Süden, wo die Halbinsel von Salento den Absatz bildet, das Ionische - auf diese Weise kommt Apulien auf ganze 350 Kilometer Küstenlinie, die oft bloß aus direkt ins Meer hineinragenden Felsen ohne vorgelagerten Strand besteht und in ihrer wilden Ursprünglichkeit wenig gemein hat mit Postkarten-Idyllen wie der Amalfiküste oder der Adria. Die von drei Seiten einströmende, eher lauwarme als wirklich kühle Brise macht es immerhin ein bisschen erträglicher in diesem Landstrich, der von den Römern scherzhaft Apluvia genannt wurde, das Land ohne Regen. Etwas vornehmer drückte es der Dichter Horaz aus, der Apulien mit seinen jährlich über 300 Sonnentagen als das „Land des ewigen Frühlings“ bezeichnete. Nachdem man es von den Griechen übernommen hatte, war Rom jedenfalls sehr bestrebt, die Via Appia von Rom nach Brindisi auszubauen, ein antiker Highway, auf dem neben anlandenden Waren und Sklaven aus dem Orient sicherlich auch große Mengen Wein in die Hauptstadt gekarrt wurden, denn jener aus der Stadt Tarent zählte dort zu den beliebtesten.
Sollte es einem auf einer Wandertour durch die schier endlose Region einmal zu heiß werden, hält man am besten Ausschau nach einem sich über die sanft wogenden Felder erhebenden Kraggewölbe. Bitte was? Keine Sorge, die korrekte architektonische Bezeichnung verweist lediglich auf die steinernen Dächer der sogenannten Trulli, die optisch zwar gewölbeförmig erscheinen, aber in Wahrheit nur aus stufenförmig übereinander geschichteten, unverbundenen Bruchsteinen bestehen und damit gleichsam einen Kegel ergeben. Er ruht auf einer kreisrunden, ebenfalls ohne Zuhilfenahme von Mörtel errichteten Mauer, die im Inneren nur einen einzigen Raum beherbergt und außen weiß getüncht ist. Diese primitive Bauweise, dem Menschen seit vielen tausend Jahren bekannt, ist das Grundmerkmal eines Trullos und der Grund dafür, warum die Hütten zu hunderten in der Landschaft stehen - die sehr dicken Wände mit nur wenigen, winzig kleinen Fenstern halten Hitze zuverlässig fern und dienten wohl zuerst umherziehenden Viehhirten als Wohnraum, bevor sie von Landarbeitern adaptiert wurden. Wer sich in die putzigen Häuschen schockverliebt hat, sollte der Stadt Alberobello einen Besuch abstatten. Ein ganzes Viertel besteht hier aus ihnen, teils per Durchbruch miteinander verbunden, und sogar die Kirche des Ortes orientiert sich am Stil der Kegelbauten. Grund für die ungewöhnliche Häufung ist die Cleverness eines lokalen Fürsten: dieser wollte sich Abgaben ersparen, die für jedes Haus in seinem Herrschaftsbereich an den König von Neapel zu entrichten waren. Also befahl er seinen Untertanen, ihre Häuser völlig ohne Mörtel zu errichten, damit sie im Falle eines Kontrollbesuchs königlicher Steuereintreiber schnell demontiert und später neu aufgebaut werden konnten. Ein besonders interessanter farblicher Kontrast ergibt sich dort, wo ein schneeweißer Trulllo auf dem in weiten Teilen der Region roten Boden, der „terra rossa“ steht. Seine Farbe verdanken Sandstein und Lehm dem hohen Anteil an Eisenoxid. Den Untergrund bildet Kalkstein, der den Weinen Fülle und Weichheit und auch eine in diesem heißen Landstrich so gar nicht erwartete, oft leicht salzige Mineralität verleiht. Seine wasserspeichernden Eigenschaften sind überdies unverzichtbar, wenn mal wieder wochenlang kein Regen fällt und jeder Tropfen zur kostbaren Reserve wird.
Apulien ist untrennbar mit einer Rebsorte verbunden, die sich gerade in Deutschland großer Beliebtheit erfreut: mit dem Primitivo, der vor etwa zwei Jahrzehnten über einige Münchner Restaurants schnell in die gesamte deutsche Gastroszene einsickerte. Der Name ist nicht etwa darauf zurückzuführen, dass der Primitivo ein geschmacklich besonders simpler Wein wäre, sondern leitet sich von „primativo“ her, was so viel bedeutet wie „als erste reifend“. Die allermeisten Weintrinker haben den Namen schon einmal gehört, und dennoch gehen viele apulische Winzer gern auf Nummer sicher und vermarkten ihn lieber unter der Bezeichnung Zinfandel. Die in den USA auf Platz zwei der dort meistangebauten Sorten stehende Rebe, die es sich besonders im sonnigen Kalifornien gemütlich gemacht hat, ist nämlich mit dem Primitivo identisch. Sein tatsächlicher Ursprung liegt aber weder in den Vereinigten Staaten noch in Italien, sondern in Kroatien. Aus dem dortigen Dalmatien gelangte er im 18. Jahrhundert nach Süditalien, ist also schon seit 250 Jahren hier ansässig. Zu dieser Zeit kannte man ihn auch nördlich der Alpen schon - unter dem eher mäßig attraktiven Namen „Blauer Scheuchner“, sodass er streng genommen gerade bloß eine Renaissance in Deutschland erlebt. Da die Trauben einen recht hohen Zuckergehalt aufweisen, kann der Most zu sehr alkoholstarken Weinen ausgebaut werden, was wiederum der Wahrnehmung der in ihm gespeicherten Aromen zugute kommt. Vor allem Frucht steht dabei im Vordergrund, was den Primitivo trotz seiner durchaus gehaltvollen Art zu einem unkompliziert-gefälligen Tropfen macht. Waldbeeren dominieren, auch Kirsche oder Pflaume kann zutage treten, im Hintergrund ergänzt um Noten von Zedernholz, Nelken und, ganz charakteristisch, Zimt. Die dezente Süße, die dem Primitivo von Hause aus eigen ist, wird gern durch das Doppio-Passo-Verfahren noch einmal verstärkt: man erntet zunächst vollreife Trauben und lässt sie normal vergären, startet aber drei bis vier Wochen später einen zweiten Lese-Durchgang. Die Beeren sind jetzt schon stark angetrocknet, wodurch sich Zucker und Aroma konzentriert haben. Auch diese presst man ab und lässt dann den Most aus dem ersten Durchgang auf diesem Trester ein zweites Mal gären. Das klingt im Ergebnis zwar wuchtig wie Omas Rumtopf und ist es in gewisser Hinsicht sicherlich auch, aber nichtsdestotrotz eignet sich ein Primitivo hervorragend für Einsteiger und alle, die gehaltvolle Rote schätzen, aber nicht die Herbheit eines Cabernet oder Sangiovese mögen. Qualitatives Zentrum ist die Manduria, wo die Anforderungen dank DOC-Klassifizierung strenger sind als in anderen Gebieten und mit dem Dolce Naturale sogar ein Primitivo-Süßwein im Rang einer DOCG wartet.
Wenn der Primitivo nicht sortenrein daherkommt, wird er meist mit dem Negroamaro verschnitten. Der wohlklingende Name bedeutet übersetzt so viel wie „schwarz und bitter“ und stammt noch aus einer Zeit, in der die Kellertechnik wenig ausgereift war und man extrem schwere, strenge Weine aus der dickschaligen und damit tanninreichen Traube erzeugte. Davon ist heute nichts mehr zu spüren: reinsortig ausgebaut besticht der Negroamaro mit einer Aromatik von schwarzen Johannisbeeren und Kirschen, im Nachhall leichte Bittermandel und eine Spur orientalischer Würzigkeit. Die nun spürbar besser eingebundenen Gerbstoffe verleihen ihm eine deutlich höhere Lagerfähigkeit als der sofort trinkbare und auch eher für baldigen Konsum gedachte Primitivo sie hat. Will man dem Negroamaro die Chance geben, sein Potential voll auszuschöpfen, greift man am besten zu einem Exemplar aus der DOC Salice Salentino, wo die Weine oft in Eichenfässern reifen und sich mit deren Hilfe eine eindrucksvolle Komplexität zulegen.
Auch für Rosés ist der Negroamaro hervorragend geeignet und wird dabei eigentlich nur von einer anderen Rebe in den Schatten gestellt: dem Bombino Nero. Im Bereich Castel del Monte wurde ihm sogar der Status einer DOCG zuerkannt: italienweit die einzige, die ausschließlich Roséweinen vorbehalten ist. Sein Name - und dafür muss man schon einiges an Fantasie aufbieten - stammt von der Ähnlichkeit, welche die pyramidenförmige Traube mit einem die Arme ausbreitenden Kind haben soll. Naja. Anders als die meisten anderen Roten der Region kommt er jedenfalls nicht purpurfarben bis schwärzlich-violett, sondern in einem eher blassen Rotton daher, was ihn als Grundlage für Rosés besonders geeignet macht, und weist auch nicht ein derart marmeladiges Mundgefühl auf - viel eher präsentiert er sich erfrischend leicht mit rassiger, die Trinkigkeit erhöhender Säure und einem blumigen Bukett von roten Johannisbeeren und Walderdbeeren, unterlegt von zarten exotischen Anklängen wie Granatapfel und Blutorange.
Weißweinliebhaber sollten die Augen offenhalten, dann entdecken sie mit viel Glück einen Verdeca. Die autochthone, wahrscheinlich ebenfalls von den Griechen ins Land gebrachte Rebe ist mittlerweile eine echte Rarität: geschmacklich eher neutral, fristete sie lange Zeit ein Dasein als „Zulieferer“ für die Wermut-Produktion. Weil der Wermut-Absatz seit Jahren im Sinkflug ist, hat auch die Verdeca keinen leichten Stand - die paar Verrückten, die ihr dennoch die Treue gehalten haben und ihr Potential auch nicht in aufgespriteter Massenware ertränkt sehen wollen, schwärmen vom Mineralisch-Harzigen und dem filigranen Mandelaroma der Traube, wenn man sie richtig zu behandeln versteht. Wirklich außergewöhnliche Weiße werden sich dennoch eher nicht finden lassen: in der Gluthitze gelingt es den Reben kaum, sich ein ausreichendes Säurepolster zu bewahren, das den hohen Alkohol geschmacklich einbinden könnte. Am ehesten sind noch tolerante Allrounder wie der Chardonnay in der Lage, das wegzustecken.
Kommt man am Abend von einem Ausflug zurück in eines der Dörfer, die sich in die große Stille unter einem in seiner Unendlichkeit geradezu erdrückenden Sternenhimmel kauern, nagen sicher schon Hunger und Durst an einem. Wie gut, dass die Italiener so gastfreundlich sind! Vielleicht hat man Glück und kommt in Kontakt mit einem der Bauern der Region - der neuzeitlich-technische Begriff „Landwirt“ passt zu diesen nach wie vor erdverwachsenen Typen nicht wirklich -, der einen auf seine Masseria einlädt. Diese typisch apulischen Gehöfte stammen teilweise noch aus dem Mittelalter und vereinen, vor der Außenwelt geschützt durch eine hohe, manchmal noch mit Gräben, Türmen und Wehrgängen verstärkte Mauer, die verschiedensten Wirtschaftsgebäude: neben Ställen für das Vieh und diversen Speichern auch Korn- und Ölmühlen, Schmieden oder Käsereien. Manche Masserien erreichen die Größe eines kleinen Dorfes und verfügen sogar über eine eigene Kirche. Eine unterirdische Zisterne machte sie früher von der Außenwelt vollends unabhängig und ermöglichte die Nutzung als Wehrbauernhof: bei einer feindlichen Invasion, wie sie hier unten an der Mittelmeerküste durchaus eine reale Gefahr darstellte, konnte eine Masseria den Einheimischen Schutz bieten, einer Belagerung zumindest eine Zeit lang standhalten und als Basis für Gegenangriffe dienen.
Was im großen Innenhof vor dem alles dominierenden, mit seinen gotischen, barocken oder klassizistischen Verzierungen durchaus herrschaftlichen Haupthaus zur „cena“, dem Abendessen, serviert werden könnte? Die einen umgebende Masseria gibt darauf einen Vorgeschmack: wie sie ist die apulische Küche nicht extrem ausgefeilt, sondern eher rustikal, dafür aber sehr reichhaltig und basierend auf frischen, lokalen Produkten echtes Soul Food. Wie alle Italiener lieben auch die Apulier Pasta, haben aber mit den - im besten Falle natürlich handgefertigten - Orecchiette eine ganz eigene Variante davon: die Nudeln sind rund und in der Mitte leicht gewölbt, als hätte jemand mit seinem Daumen in das Teigplättchen hinein gedrückt, und tragen ihren Namen aufgrund optischer Ähnlichkeit mit einer Ohrmuschel. Mit dieser Form nehmen sie perfekt Saucen auf, zum Beispiel eine gehaltvolle Mischung aus Ricotta und Tomaten. Überhaupt werden sie gern mit Gemüse kombiniert, vor allem dem omnipräsenten Stängelkohl. Die Pflanze, die an eine Mischung aus Staudensellerie und Brokkoli erinnert, gilt in Apulien als klassisches Wintergemüse. Geschmacklich weist er durchaus Ähnlichkeit mit Kohl auf, ist dabei aber deutlich bitterer und mit seinem extrem intensiven, mit zunehmender Reife sogar leicht scharfen Geschmack sicher nicht jedermanns Sache. Zugänglicher als dieses heimliche Nationalgericht Apuliens sind da schon die vielen Gerichte mit Aubergine als Grundlage: ob als mit Pecorino-Käse gefüllte Röllchen oder ausgehöhlt und mit einer cremigen Paste aus Olivenöl, Tomaten und Semmelbröseln überbacken - in jedem Haushalt existieren eigene Variationen der Melanzane-Zubereitung. Allen ist aber gemein, dass sie stets mit Mengenangaben arbeiten, die eine ganze Familie satt zu kriegen imstande sind. Als kleiner Snack vorweg oder zwischendurch eignen sich hingegen Friselle. Das Gebäck erinnert optisch an einen Bagel, ist aber deutlich trockener und deswegen wochen- oder sogar monatelang haltbar - mag man es nicht so knusprig, darf man sie gern in Salzwasser tauchen und damit weicher machen. Ähnlich der bekannteren Bruschetta werden sie mit Olivenöl und Tomaten gegessen, verfeinert mit Oregano, dem hier omnipräsenten Gewürz, ohne das kaum ein herzhaftes Gericht auskommt. Neben den Gemüseplantagen ist es vor allem das Meer, welches zahlreiche Zutaten beisteuert: seien es Sardellen als vielseitiges Würzmittel, Miesmuscheln, die zusammen mit Reis und Kartoffeln die beliebte Tiella barese ergeben, oder das aus Gallipoli stammende Scapece, für das frittierte kleine Fettfische in mit Essig und Safran getränktem Paniermehl mariniert werden.
Obwohl Apulien mit seinen etwa 90 000 Hektar nach Sizilien das größte Weinbaugebiet Italiens ist, - Tendenz zum Vorteil der Qualität glücklicherweise abnehmend -, lässt seine Bekanntheit im Ausland noch immer zu wünschen übrig. Zu lange verramschte man den heimischen Most im Tanklaster in andere Teile Europas, um per Verschnitt den dortigen Weinen mehr Alkohol und Farbe zu verleihen - ernsthaftes Interesse am apulischen Terroir und seinen heimischen Rebsorten ist eigentlich erst seit der Jahrtausendwende zu beobachten. Und auch aktuell liegt der Anteil der Qualitätsweine an der Gesamtproduktion bei gerade einmal zehn Prozent. Man keltert eben nicht die herben, intellektuell herausfordernden Tropfen des italienischen Nordens, sondern sich vor allem durch ihre fast überbordende Frucht auszeichnende und preiswerte Alltagsweine, die sich im Umfeld einer entspannten sommerlichen Grillparty besser machen als in jenem eines anspruchsvollen Fünf-Gänge-Menüs. Das aufkeimende Selbstbewusstsein ist darum immer noch etwas fragil in dieser Region, die sich leider oft kleiner macht, als sie ist, und hinter den vermeintlich bekannteren Namen anderer Weinbaugebiete versteckt. Dabei müsste sie das keineswegs, denn das Potential ist schier endlos - und vor allem noch lang nicht ausgeschöpft. Während woanders in Italien, im Piemont, Venetien und der Toskana etwa, der gesamte Weinbau-Kuchen seit Langem verteilt ist, gibt es in Apulien, das über die größte Rebsortenvielfalt in ganz Süditalien verfügt, noch genug Investitionsmöglichkeiten - hoffentlich nicht nur das hinlänglich bekannte internationale Portfolio aus Merlot und Co. Ganz ohne wird es zwar nicht gehen, sollen die teils in die Jahre gekommenen Weingüter fit gemacht werden für die Zukunft - neue Kellertechnik kostet Geld, das sich nicht nur mit Liebhabertrauben verdienen lässt. Aber geben wir Apulien wie einem vielversprechenden Wein einfach noch zwei oder drei Jahrzehnte Zeit für seine Entwicklung, dann kommen neben dem aktuellen Dreiklang aus Uva di Troia, Negroamaro und Primitivo (die es sich übrigens mal gegeneinander zu verkosten lohnt…) vielleicht irgendwann auch fast vergessene Sorten wie Falanghina, Susumaniello oder Bombino Bianco wieder zu verdienten Ehren.