Burgund

Burgund

Eine kleine Warnung direkt zu Beginn: selbst im sich ohnehin schon nicht so leicht erschließenden Frankreich hat das Burgund noch einmal eine Sonderstellung inne, die Weinbegeisterte durchaus zur Verzweiflung treiben kann. Verantwortlich dafür ist die hochkomplexe, wenn auch keineswegs willkürliche Weinbergsstruktur, die es Laien fast unmöglich macht, sehr gute von mäßigen Weinen zu unterscheiden. Denn ja, es gibt auch in der Bourgogne, wie die Franzosen selbst dieses neben dem Bordeaux wohl berühmteste Anbaugebiet der Welt nennen, große qualitative Unterschiede. Anders als etwa in Deutschland kann nicht davon ausgegangen werden, dass aus einer der rund 40 Grand-Cru-Lagen auch zwangsläufig erstklassige Weine stammen - vielmehr gibt die Klassifizierung an, welche Qualität theoretisch möglich wäre, wenn der Winzer das Potential optimal ausschöpfen würde. Allerdings werden die Lagen, die sogenannten climats, nicht von einem einzigen, sondern von einer Vielzahl unterschiedlicher Winzer bestellt, und oft profitieren die vielen durchschnittlichen über das Renommee der Lage von der Mühe der wenigen exzellenten, indem sie deren Preise leicht unterbieten, dafür aber viel schlechtere Qualität liefern. Schuld an der extremen Parzellierung ist das Prinzip der Realteilung, das vorsah, dass jedem Erbberechtigten der gleichen Anteil an der Erbmasse zufallen solle. Das hat einerseits zur Folge, dass mancher Winzer nur ein paar Quadratmeter einer Lage sein Eigen nennt, dass aber derselbe Winzer wiederum in zwei Dutzend Gemeinden jeweils eine Rebfläche besitzt. An die Situation überschaubarer machende Flurbereinigungen ist aufgrund der astronomischen Bodenpreise von teils mehrerer Millionen Euro pro Quadratmeter gar nicht zu denken. Als ebenso bedeutsam wie die Arbeit der Weinbauern selbst hat sich darum die der örtlichen Weinhändler erwiesen. Diese kaufen kleineren Erzeugern ihre Erträge ab, übernehmen die Kellerarbeit und mischen sie mit denen angrenzender Parzellen, um überhaupt eine Gesamtmenge zu erreichen, mit der sich ein internationaler Vertrieb rechnet.

 

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Im Detail

Burgund

 

 

 

Aber erst einmal von vorn. Das Burgund hat eine bewegte, sehr stolze Geschichte, von der heutzutage außer dem mythisch anmutenden Namen nicht viel verblieben ist. Nicht einmal der territoriale Zusammenhang ist noch nachzuvollziehen, nachdem es Frankreich 2016 mit der Franche-Comté zu einer Großregion vereinigte. Die Zeit der burgundischen Königreiche im frühen Mittelalter ist - obwohl sie etwa den Stoff für die Nibelungensage liefert - dabei historisch gar nicht mal so interessant. Wirklichen Einfluss erlangt Burgund nämlich erst in Form eines Herzogtums im 14. und 15. Jahrhundert, als es von einer Seitenlinie des französischen Königshauses regiert wird und sich durch seine strategisch günstige Lage zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich zu einem bedeutenden Player auf der europäischen Bühne entwickelt. Großen Einfluss sicherten der flächenmäßig eher kleinen Herrschaft dabei vor allem die schier unermesslichen Abgaben, die von den zugehörigen Städten Flanderns geleistet wurden - zu der Zeit die unangefochtenen wirtschaftlichen Zentren Europas. Und schon Philipp der Kühne, der erste Herzog von Burgund, fuhr eine kluge Strategie, um „seine“ Pinot noirs auf internationalem Parkett bekannt zu machen: er untersagte dessen Düngung und bewirkte damit eine qualitätssteigernde Ertragsreduktion, zudem verbot er den Anbau der ertragreichen, aber wenig aromatischen Konkurrenzrebe Gamay als „gesundheitsschädlich“.

 

 

Zu dieser Zeit des Spätmittelalters konnte man im Burgund bereits auf eine tausendjährige Weinbautradition zurückblicken. Die Römer hatten ihn eingeführt, die Mönche bedeutender Abteien wie Saint-Vivant, Cluny und Clos-Vougeot brachten ihn zu einer ersten großen Blüte. Dabei half ihnen eine wichtige Beobachtung: Wein nimmt, je nachdem, wo genau er gewachsen ist, ganz unterschiedliche Aromatiken an. Die Idee des Terroirs war geboren! Emsig und gewissenhaft machten die Brüder sich in der Folge daran, Lagen voneinander abzugrenzen, in bessere und schlechtere zu unterscheiden. Damit legten sie wiederum den Grundstein für die heutige Qualitätspyramide, an deren Spitze mit lediglich 1,5 Prozent der Gesamtproduktion die Grand Crus stehen - gefolgt von den Premier Crus und den Village-Weinen, die nicht mehr aus einer einzelnen Lage, aber immerhin noch aus einem einzigen Ort stammen müssen. Unten stehen die regionalen Appellationen, die lediglich verbürgen, dass die Trauben irgendwo im Burgund gelesen wurden. Das System verdeutlicht, dass wirklich nur einem absoluten Bruchteil die Ehre zuteil wird, sich als eine der besten Lagen zu vermarkten, und war Vorbild für viele Klassifikationen weltweit, so auch für den deutschen VDP.

 

 

Burgunder bringt man oft mit Kalk als angestammtem Untergrund in Verbindung. Tatsächlich wird die Côte d’Or, das Herzstück der Region, durch eine mächtige Jurakalk-Abbruchkante quasi mittig zerschnitten, und die besten Weine stammen auch von stark kalkhaltigen Böden. Da sich das Burgund aber zwischen Dijon und Lyon über eine Strecke von fast 200 Kilometern erstreckt, sind die Bodenprofile erstaunlich vielfältig. Auf der kalkig-mergeligen Grundsubstanz traten durch Erosion und tektonische Verschiebungen kristalline Gesteine wie Granit, Sedimentgestein wie Blauschiefer und Kies, aber auch Lehm und Vulkangestein an die Oberfläche. Von all diesen geologischen Eigenarten hatten die Mönche wohl nur eine sehr verschwommene Ahnung, was ihre Leistung umso größer erscheinen lässt. Auf diesen Böden gedeihen fast ausschließlich - das ist jetzt wenig verwunderlich - die im Französischen Pinots genannten Reben. Den putzigen Namen verdanken sie der Form der Trauben, die an einen Pinienzapfen erinnert. Und es gibt sie schon ziemlich lange: die Urform entstand vor 2000 Jahren im Norden Frankreichs und entwickelte sich vor allem durch natürliche Kreuzung mit dem Weißen Heunisch zu zahlreichen Sorten. Das Burgund ist damit auch das einzige Weinbaugebiet weltweit, das gleich einer ganzen Wein-Familie den Namen gegeben hat.

 

Wobei zahlreiche Mitglieder ebendieser im Burgund gar keine Rolle spielen, etwa Pinot Gris und Pinot Blanc oder Pinot Meunier. Der nahezu ausschließliche Fokus liegt bei den Weißen auf Chardonnay, der die Hälfte, und bei den Roten auf Pinot Noir, der ein weiteres Drittel der Gesamtfläche von 40 000 Hektar für sich in Anspruch nehmen. Das geht so weit, dass auf von hier stammenden jährlich etwa 200 Millionen Weinflaschen die Rebsorte nur dann angegeben werden muss, wenn der Inhalt nicht einer der beiden Rebsorten entstammt. Anders als etwa in der Champagne und dem Bordeaux findet im Burgund auch kein Verschnitt verschiedener Sorten statt. Der Pinot Noir erreicht hier in aller Regel recht hohe Säuregrade, hat aber dennoch einen seidigen Grundzug. Tannin und Alkohol sind eher mäßig ausgeprägt, was dem kontinentalen Klima mit seinen kurzen Sommern und den Kalkböden geschuldet ist. Er ist von Natur aus sehr sensibel und reagiert mit wahrnehmbaren geschmacklichen Veränderungen auch auf kleinste Unterschiede von Mikroklima und Boden. Die meisten Weinberge sind nach Süden oder Südosten ausgerichtet, um im recht weit nördlich gelegenen Burgund das Sonnenlicht möglichst optimal zu nutzen. Während viele Pinot noirs mit längerer Lagerung geschmacklich abbauen, bergen die hiesigen ein gigantisches, jahrzehntelanges Reifepotential. Die zweite rote Rebsorte, der Gamay, fühlt sich auf den kalkigen Böden weniger wohl und präferiert stattdessen die Granithänge des Beaujolais. Hier kann er seinen eigenen, betont fruchtigen Charakter ausleben, bleibt aber qualitativ stets im Schatten des Spätburgunders. Selbiges gilt für die zweite prominente Weißweinrebe, den Aligoté. Ihn produziert man meist bewusst leicht und säurebetont. Da er sich nicht für den Ausbau im Fass eignet, muss er in den ersten paar Jahren konsumiert werden - oft als einfacher Schoppenwein oder gespritzt mit Sprudel. An die blumige Komplexität mit dem typisch russigen Unterton des Chardonnays reicht er nicht heran. Dessen Variantenreichtum hängt auch mit den persönlichen Überzeugungen des Winzers, seiner Philosophie zusammen: Ausbau im Stahltank oder im Barrique? Im neuen oder bereits gebrauchten? Puristen schwören auf ersteres, weil so ein erfrischend reintöniger Wein mit intensiver Feuersteinaromatik, dem goût de pierre à fusil, entsteht; Freunde des „klassischen“ Chardonnays lieben hingegen die Vanillenoten neuer und die toastigen Akzente älteren Holzes.

 

 

Und wo bekommt man nun die besten? Lässt man die Preise und Namen für sich sprechen, dann sicherlich im Norden des Burgund - im vom Rest isoliert gelegenen Chablis mit seinen stahlig-zitrischen Chardonnays mit dem charakteristischen Grünstich, und an der Côte d’Or. Diese lässt sich unterteilen: einerseits in die nördlich gelegene Côte de Nuits, wo mineralische, körperreich-druckvolle Weine mit Aromen von Kirsche, aber auch rauchigen Noten nach Lakritz und Gewürzen dominieren. Von ihrer hellen Farbe sollte man sich keineswegs täuschen lassen, denn das komplexe Mundgefühl und Länge des Abgangs sind ohnegleichen. Lagen wie La Tâche, Bonnes-Mares und Chambertin warten hier auf, den bereits Napoleon als seinen Favoriten bezeichnete. Mehr als die Hälfte der gesamten Grand-Cru-Lagen ist hier konzentriert. Im Süden schließt die Côte de Beaune an, wo die Pinot noirs finessenreich-feinfruchtig, zarter und harmonischer geraten und wo besonders am Corton, in Mersault und Puligny-Montrachet einige der besten Chardonnays der Welt gedeihen, deren sich mit dem Alter einstellende leichte Petrolnote Wein-Enthusiasten in Verzückung geraten lässt. Wer an diesem Genuss teilhaben möchte, muss sehr tief in die Tasche greifen, wenn er denn überhaupt das Glück hat, eine Flasche angeboten zu bekommen. Aus diesem Grund rücken seit geraumer Zeit die vergleichsweise günstigen „Randlagen“ mehr in den Fokus - das weite, offene und fast mediterran anmutende Hügelland von Côte Chalonnaise und Mâconnais mit ihren üppigen, bukettreichen und ausgeprägt gelbfruchtigen Weinen, etwa dem Pouilly-Fuissé.

 

Dass es mal eine Zeit gab, in der es dem Burgund richtig schlecht ging, kann man sich heutzutage nicht recht vorstellen. Im 19. Jahrhundert war der Burgunder auf der Höhe der Zeit, neben Champagner das Getränk der Reichen und Schönen und in etlichen Werken der Weltliteratur verewigt. Dann jedoch kamen Mehltau und Reblaus, dazu innerhalb von 70 Jahren drei große Kriege. Und so stand man Mitte des 20. Jahrhunderts faktisch vor dem Ruin - auch weil unsere Vorfahren dem Terroir-Gedanken gegenüber relativ gleichgültig waren. Hinzu kam in der Nachkriegszeit ein Verlangen nach schnellem, günstigem und möglichst unkompliziertem Genuss - die Jahrzehnte der Massenweine begannen, während derer man die jahrhundertelang liebevoll gepflegten Rebflächen in Pestiziden und Mineraldüngern ertränkte, keine Ertragsreduktion mehr betrieb und bei der Kellerarbeit schlampte. Zudem pflanzte man massenhaft neue Reben, die durch ihre Jugend aber nicht ansatzweise die Feinheit eines gestandenen, 40 oder mehr Jahre alten Stocks ins Glas zu bringen vermochten. Gerade als in den 80ern unter Winzern wie Romanée-Conti und Leflaive allmählich der Gedanke der biologischen Landwirtschaft aufkeimte und man sich auf seine Ursprünge besann, dämmerte eine neue Herausforderung herauf: viele andere Nationen wie Australien, Neuseeland, Südafrika und die USA waren nicht untätig gewesen und hatten qualitativ enorm aufgeholt, die Bourgogne teilweise sogar überflügelt, wie der Vergleich zwischen burgundischen und kalifornischen Chardonnays bei der legendären Weinjury von Paris bewies. Man musste nun also doppelte Anstrengung darauf verwenden, die traditionell hohen Preise auch mit entsprechenden Produkten zu rechtfertigen und den Status eines Burgunders als edlen Festtagswein wieder mehr im Bewusstsein zu verankern. Trotz aller Konkurrenz, die man geschmacklich teilweise, marketingtechnisch schwer und preislich eigentlich gar nicht auszustechen vermochte, wollte man vor allem eines: der absolute Maßstab sein, an dem sich jeder Burgunder, wo auch immer auf der Welt er erzeugt wurde, zu messen hat.

 

 

Einer der liebenswertesten Auswüchse der vielfältigen PR-Aktionen zur Wiederbelebung des Burgund ist wohl die 1934 gegründete Confrérie des Chevaliers du Tastevin. Als wie ein mittelalterlicher Orden organisierte Weinbruderschaft hat sie sich zur Aufgabe gemacht, das Ansehen der Burgunder zu steigern und mittlerweile Niederlassungen rund um den Globus. Mitglieder, aufgenommen stilecht per Ritterschlag, waren bzw. sind etwa Politiker wie Ronald Reagan, Helmut Kohl, Franz-Josef Strauß und Walter Scheel, aber auch Filmschaffende wie Alfred Hitchcock und Ingrid Bergman und Sportfunktionäre wie Sepp Blatter. Zweimal jährlich findet die Tastevinage, eine anonyme Verkostung mit 250 versierten Testern statt, deren Sieger das heiß begehrte Recht haben, ihre Flaschen mit dem Wappen der Vereinigung zu schmücken. Allerdings druckt man es nicht einfach auf das Etikett, sondern setzt neben diversen Nummerierungen auf einen unsichtbaren Marker aus UV-Tinte. Das mag übertrieben klingen - Fälschungen sind bei Flaschenpreisen von mehreren Hundert bis mehreren Tausend Euro aber tatsächlich ein großes Problem. Da gute Burgunder mindestens zehn bis 15 Jahre gelagert werden sollten, um ihr Potential voll ausschöpfen zu können, oder als Spekulationsobjekte noch wesentlich länger in Kellern verschwinden, bevor sie getrunken werden, fallen viele Betrügereien erst spät oder gar nicht auf. Hinzu kommt, dass die wenigsten einen solchen Wein schon des Öfteren getrunken haben und somit der sensorische Vergleich fehlt. Man geht davon aus, dass etwa vier Fünftel aller vor 1980 erzeugten Burgunder nicht echt sind, und aus den 40ern kaufen kundige Sammler gar nichts mehr, nachdem der als „Dr. Conti“ bekannt gewordene Fälscher Rudy Kurniawan mit Gier und Gutgläubigkeit seiner Kunden gespielt und jährlich mehr Flaschen unters betuchte Volk gebracht hatte, als aus den betreffenden Jahrgängen weltweit überhaupt noch im Umlauf waren.

 

 

Fälschungen? Unbezahlbare Preise? Undurchschaubare Lagenverhältnisse? Abschrecken sollte das keineswegs - es sind die normalen Begleiterscheinungen eines Weinbaugebietes von absoluter Weltgeltung. Dennoch ist es ratsam, entweder auf die - im allgemeinen Niveau mittlerweile ebenfalls sehr guten - günstigeren kommunalen und regionalen Appellationen zu setzen oder aber der fachlichen Expertise eines Weinhändlers des Vertrauens Glauben zu schenken. Damit die wenigen Male, die man im Leben Gelegenheit zum Genuss eines solch überirdischen Tropfens hat, sich so gestalten können, wie Alexandre Dumas es forderte: „Einen solchen Wein sollte man auf Knien und mit entblößtem Haupte trinken!“

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